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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Eleonore? In der dritten Ecke entzifferte sie nun ein H und ein M.   Hannes Melcher. Das war natürlich Unsinn, auf so einem Freundschaftstuch würde nie der Name eines Mannes auftauchen, das war etwas, was nur Mädchen einander schenkten, um ihre Freundschaft zu besiegeln, für immer und ewig. So wie man dachte und sicher zu wissen glaubte, wenn man sehr jung war.
    Für immer und ewig. Ich muß unstet und flüchtig sein auf Erden. Warum fiel ihr das jetzt ein? Wegen der Ewigkeit? Wegen Melcher? H und M.   Seine Schwester! Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht? Da war das Verbindungsglied. Wenn Melchers Schwester wie ihr Bruder einen Vornamen getragen hatte, der auch mit einem H begann, dann mußten dies ihre Initialen sein. Dann mußte dieses Tuch ein Zeugnis der Freundschaft zwischen Loretta und Melchers Schwester sein. Der mit einem Starken Mann davongelaufenen Zofe. Und einem unbekannten dritten Mädchen in Köln. Eine Fremde, ein Mädchen vom Kontinent. Hatte David das nicht von der Toten im Bristoler Theater gesagt?
    Aufstöhnend stützte Rosina die Stirn in die Hände. Was reimte sie sich da nur zusammen? War das noch vernünftig? Kaum. Aber warum hatte sie das sichere Gefühl, daß das, was sie in dem Tuch gelesen hatte, die Wahrheit war, der Schlüssel? Es mußte der Schlüssel sein. Nun fehlte nur noch das Schloß.
    Was hatten die drei damals für ein Geheimnis? Loretta war im Hamburger Theater getötet worden, anderthalb Jahre zuvor ein Mädchen im Bristoler Theater. Waren sie tatsächlich beide aus Köln? Das klang absurd. Aber egal.Wenn es tatsächlich so war: Was wußten sie, was hatten sie gesehen oder erlebt, für das sie jemand getötet hatte? Melchers Schwester war vor vielen Jahren bei einer Fahrt den Rhein hinunter verschwunden, davongelaufen hieß es. Vielleicht stimmte das gar nicht, vielleicht war sie auch tot. Vielleicht hatten Loretta, Lore, und das andere Mädchen – ja, was? Ihr etwas angetan? Aber was? Wo war das Verbindungsglied? Straßburg? Straßburg lag auch am Rhein. Vielleicht hatten die Mädchen einander später wiedergetroffen, warum nicht? Womöglich in Paris? Und irgend etwas war geschehen.
    Und hatten Wagner und die Herrmanns nicht große Sorge gehabt, daß sie, Lorettas einzige Freundin und Vertraute in dieser Stadt, nun auch in Gefahr war? Sie hatte das für übertrieben gehalten, doch nun, im Licht der blakenden Kerze, erschien es ihr plötzlich nicht mehr so. Wer wußte schon, was in so einem Kopf vor sich ging? Wer wußte, was er dachte, was
sie
, Rosina, von Loretta erfahren hatte und wußte? Dabei wußte sie
nichts
.
    Aber das mußte sie endlich ändern. Es gab nur einen Menschen, der ihr – vielleicht, sehr vielleicht – helfen konnte, den Anfang des Fadens zu finden. Mrs.   Bellham. Selbst wenn die Damen selten auch nur ahnten, was Zofen und Küchenmädchen bewegte, war sie die einzige, die möglicherweise über diese lange zurückliegenden Kölner Jahre Auskunft geben konnte. Zumindest über das Verschwinden ihrer Zofe auf dem Rheinschiff mußte sie Genaueres wissen.
    Es würde noch einige Stunden dauern, bis die Sonne aufging, noch eine oder zwei weitere, bis sie es wagen konnte, nach dem ersten Morgengottesdienst im Haus in der Großen Reichenstraße nahe dem Dom vorzusprechen. Bevor Rosina in dieser Nacht doch noch zu Bett ging,schob sie den Tisch von seinem Platz am Fenster vor die Tür. Niemand würde hereinkommen, ohne daß der Lärm sie warnte.
     
    Es war schon nach Mitternacht, als die letzten Gäste das Herrmannssche Haus verlassen hatten und Claes seiner Frau endlich helfen konnte, das vermaledeite Korsett loszuwerden. Der Abend war ein rauschender Erfolg geworden. Nicht nur für die Gastgeber. David Rhye würde nun häufig im Theater um Urlaub bitten müssen, und gewiß würde Löwen seinen Lohn erhöhen, damit der begehrte Violinist überhaupt in seinem Orchester blieb. Schließlich waren auch einige Gesandte von den anderen deutschen und einigen europäischen Ländern zu Gast gewesen, aus Ländern mit Schlössern, in denen sich Herzöge und Könige wohlsortierte Orchester leisteten und Künstler sammelten wie Juwelen und Gemälde.
    Anne freute sich – natürlich – besonders über den großen Beifall, den Rosina bekommen hatte. Gewiß war ein Teil der Begeisterung auch Monsieur Gluck zu verdanken, dessen Musik einige zwar für ein wenig schlicht, andere für zu dunkel, die meisten aber für eine große Bereicherung des musikalischen Programms

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