Lorettas letzter Vorhang
sehr groß, aber zeigte doch deutlich, daß Mr. Bellham exzellente Geschäfte machte. Das Feuer prasselte im mit einem weißen Marmorsims abgeschlossenen Kamin, daneben stand auf geschwungenen Füßen ein einladender Ohrensessel, in Petit-point-Manier bestickt. Auf der Lehne glaubte Rosina eine Landschaft mit anmutigen Jägern und Windspielen zu erkennen, und auf dem Sitz lag ein aufgeschlagenes Buch. Gewiß hatte sie Mrs. Bellham bei der Lektüre gestört. Vier zierliche weiße Sessel standen um einen ebenso lackierten Teetisch, leer und genauso ohne das winzigste Staubkorn wie das rötlich schimmernde, reich mit zarten Blüten intarsierte Holz des Sekretärs zwischen den beiden Fenstern. Im Hause Bellham herrschte gewiß schon vor Morgengrauen strenge Ordnung.
«Ich muß mich entschuldigen. Ich kann Euch keinen Tee anbieten, die Köchin und das Mädchen sind um dieseStunde stets auf dem Markt, und die beiden Diener begleiten Mr. Bellham auf einer kleinen Reise. Aber gewiß seid Ihr nicht wegen einer Tasse Tee gekommen.»
Sie setzte sich auf einen der Sessel und bedeutete Rosina, ihr gegenüber Platz zu nehmen.
«Nein, gewiß nicht. Ich bin – ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, Mrs. Bellham. Es ist ein heikles Anliegen, und vielleicht bin ich auch ein wenig voreilig, aber ich weiß niemanden, den ich sonst fragen kann.»
«Wenn es um das Theater geht, seid Ihr bei mir ganz falsch. Ebenso wenn Ihr eine respektable Anstellung oder Gesangsauftritte sucht …»
«Meine Anstellung erscheint mir respektabel genug. Nein, es geht um etwas ganz anderes. Es geht um Euren Kutscher, Mrs. Bellham. Um Melcher und …»
«Hatte er etwa Gelegenheit, Euch zu nahe zu treten?»
Rosina ignorierte die Beleidigung. Auch wenn sie die Freundin einer Madame Herrmanns war, sie blieb eine Komödiantin.
«… und um seine Schwester. Eure frühere Zofe.»
Magdalena erhob sich, straffte ihre Schultern und trat an den Kamin. Sie sah ins Feuer, der Schein rötete ihr Gesicht und ihr tiefschwarzes Haar.
«Melcher», sagte sie schließlich, ohne Rosina anzusehen, «ist seit vielen Jahren mein treuer Diener. Und seine – meine Zofe Hanna ist schon lange tot. Es gibt dazu nichts zu sagen. Und wenn das alles war, möchte ich Euch bitten, nun zu gehen.»
Hanna. Rosina hatte nur Hanna gehört. H und M, die Initialen stimmten also. Die Zofe war tatsächlich eines der drei Mädchen gewesen, deren Anfangsbuchstaben in das Freundschaftstuch gestickt worden waren.
«Verzeiht, wenn ich an Schmerzliches rühre. Aber ichmuß Euch weiter fragen, es ist auch für Euch von großer Wichtigkeit. Ihr seid womöglich in Gefahr, und deshalb muß ich Euch …»
«In Gefahr?» Mrs. Bellham hatte sich blitzschnell umgedreht und sah ihre Besucherin mit schwarzen Augen starr an. «Die Zeiten, da ich in Gefahr war, wie Ihr es ausdrückt, sind lange vorbei. Ich weiß mich und mein Leben zu schützen. Und Melcher hat damit nichts zu tun.» Ihre leise Stimme wurde kalt. «Wenn Ihr glaubt, Ihr könntet das Vergangene, das längst Vergessene wieder hervorholen, habt Ihr Euch geirrt.»
«Aber, Madame», Rosina sah erschrocken zu der Frau auf, die nun nahe vor ihr stand und auf sie herabsah wie auf Unrat, «verzeiht, wenn ich eine alte Wunde berührt habe. Ich weiß, daß Eure Zofe Euch verließ, als ihr allein und schutzlos wart …»
«Verließ? In der Tat, sie verließ mich. Sie starb auf dem Schiff bei Kaiserswerth. Ihr Grab ist dort bei dem alten Kloster, das kann jeder sehen. Aber ich war nicht allein, Melcher war da. Und ich war auch nicht schutzlos, denn ich selbst war da. So wie ich mich auch jetzt schützen werde.»
«Nein, natürlich seid Ihr jetzt nicht schutzlos. Ihr seid nun eine erwachsene Frau, und Ihr habt Eure Familie, Euren Gatten …»
Rosina war verwirrt. Sie hatte nicht erwartet, mit ihren Fragen einen solchen Zorn über einen alten Schmerz heraufzubeschwören. Aber warum sagte sie immer, die Zofe sei gestorben? War sie nicht mit den Akrobaten davongelaufen? Dann war sie tatsächlich gestorben, und alles andere war nur dummer Klatsch. Hätte sie doch nur ein wenig gewartet und Anne mitgenommen. Oder sich doch mit Wagner oder Claes besprochen, nun mußte sie allein sehen, wie sie das Feuer, das sie entfacht hatte, wieder löschte.
«Madame!» Sie erhob sich nun auch und sprach hastig weiter. «Ich bitte Euch sehr, mir nur noch einen Augenblick zuzuhören. Ich muß mit Euch sprechen, ich bin es ja
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