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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zurückgelassen hat, der feine Mister. Aber nun, denke ich, hat die Dame Zeit genug gehabt, sich umzukleiden.» Er klopfte an die angelehnte Tapetentür. «Mrs.   Bellham? Ihr müßt jetzt herauskommen.»
    Hinter der Tür blieb es still. Wagner klopfte noch einmal. «Mrs.   Bellham?» Er zog energisch die Tür auf, trat in den kleinen Raum und ließ ein kurzes Schnaufen hören. An der hinteren Wand der Kammer hingen auf einer langen Stange kostbare Kleider aus Seide, aus den verschiedensten Arten von Kattun, aus Samt, feinster Wolle und Batist. In Fächern lagen ordentlich die Mieder, Schuhe, Tücher und all die Wäschestücke und Accessoires einer eleganten Dame. Auch eine samtbezogene Schachtel mit Kämmen und anderem Kopfputz war dabei, und einen der Kämme hätte Rosina, wenn sie Gelegenheit gehabt hätte, in die Schachtel zu sehen, sofort wiedererkannt.
    Und schließlich, auf einem zierlichen Lehnstuhl saßMrs.   Bellham. Sie trug noch immer das für die Fronerei ungeeignete Kleid aus glänzendem Kattun in der Farbe reifer Hagebutten mit hauchzarten weißen Streifen. Ein dünner Speichelfaden rann von ihrem linken Mundwinkel über ihr Kinn, ihre blauen, festverschlossenen Lippen waren wie eine Wunde in ihrem schneeweißen Gesicht. Sie atmete noch, bis zum Abend würde sie immer schwerer und zugleich flacher atmen. Aber dann würde der große Löffel voll getrockneten Fingerhutkrauts, das sie mit Honig verrührt und hinuntergeschluckt hatte, dafür sorgen, daß ihr Herz aufhörte zu schlagen.

NACHSPIEL
    SONNABEND, DEN 21.   FEBRUAR 1768
    Der Maskenball am 21.   Februar des Jahres 1768 im Theater am Gänsemarkt war ein rauschendes Fest. Der sonst leicht abfallende Boden des Auditoriums war ebenso verschwunden wie der Orchestergraben. Das ganze Parterre war durch einen Zwischenboden auf eine Höhe mit der Bühne gebracht und so zum Tanzsaal umgewandelt worden. Es war schon der vierte Maskenball seit Neujahr, aber das Gelächter der Gäste klang immer noch so übermütig, die tanzenden Paare bewegten sich so ausgelassen, als sei es der erste seit zehn Jahren. Wer den Bürgern dieser Stadt mangelnden Sinn für das Vergnügen nachsagte, konnte in dieser Nacht eines Besseren belehrt werden.
    Vielleicht lag es daran, daß die Bürger diesmal nicht unter sich waren. Zum Maskenball im Theater stand die Tür allen offen, die sich ein Billett leisten konnten. Dazu gehörten auch einige Damen, deren Dekolletés einladender, deren Wangen und Lippen röter, deren Düfte schwerer und süßer waren als die der Gattinnen und Töchter der Bürger. Sie lachten auch lauter und selten hinter vorgehaltener Hand. Ihre freieren Bewegungen beim Tanz, ihre koketteren Blicke über die Fächer waren ansteckend wie ihr Lachen.
    Aber vielleicht lag es nur an den Masken, die die meisten im Saal, in den Logen und auf der Galerie noch trugen. Die bedeckten zwar nur die Augenpartie oder dashalbe Gesicht, und ganz gewiß erkannte man einander spätestens beim ersten Satz oder zweiten Blick, aber die Menschen im Saal gebärdeten sich wie Kinder, die sich die Augen zuhalten, zwischen zwei Fingern hindurchblinzeln und glauben, unsichtbar zu sein. Es war seltsam, auch wenn alles Fremde die Menschen beunruhigte und ihr Mißtrauen weckte, war ihnen diese nur scheinbare Fremdheit erregend wie Wein aus der Champagne.
    Rosina löste ihre Maske, legte sie auf die Brüstung der Herrmannsschen Loge und lehnte sich erschöpft gegen die gepolsterte Lehne. Auch wenn in den Straßen der Stadt der Schnee unter jedem Schritt eisig knirschte und die Glut in den Öfen hinter den großen Eisengitterschirmen längst erloschen war, in dem überfüllten Theater war es warm und schwül wie in einer Orangerie. Auch sie hatte getanzt, von dem Wein probiert und sich amüsiert. Es war nun schon mehr als ein Vierteljahr her, seit Loretta dort oben in den Kulissen getötet worden war, sie hatte sie nicht vergessen, aber das Leben war doch weitergegangen.
    Trotz der neuen Spaßmacher und Luftspringer, die sogar Lessings «Minna von Barnhelm» bereicherten, war das Theater immer spärlicher besucht worden. Anfang Dezember hatten Löwen und Seyler es geschlossen und ein Engagement für das ganze Ensemble an das Schloßtheater zu Hannover angenommen. Sie hatten dort viel Beifall bekommen, und die satten Einnahmen retteten das Hamburger Unternehmen. Für einige Wochen jedenfalls. Die andere Stadt und das andere Theater hatten die Ereignisse des vergangenen Oktobers

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