Lorettas letzter Vorhang
gefunden, den Mann, der das für ihn getan hatte und auch noch in eine Mordgeschichte verwickelt war, herauszuhauen. Woher mochte er nur gewußt haben, daß Lukas an diesem Abend zum Rathaus geführt werden würde? Er mußte gute Informanten haben. Aber auch er hatte dabei Glück gehabt. Aus der Fronerei hätte er den Mann, der um das Geheimnis seiner gar nicht so ehrenwerten Geschäfte wußte, kaum herausbekommen.
Glück gehabt, nichts als Glück gehabt. Und er hatte auch Glück gehabt, daß Bellham, zwar wütend wie ein Stier, aber ganz Ehrenmann, ihm nicht den Hals umgedreht, sondern ihm seinen Lohn gegeben und dann noch durch die Alster geholfen hatte. Nur damit Lukas keine Minute länger Gelegenheit hatte, seinen Namen zu nennen und aus dem Ehrenmann den Spion zu machen, der er tatsächlich war.
Bellham hatte gespielt und verloren, und er konnte froh sein, daß Lukas ihn nicht gleich der Wedde genannt hatte. Die Ausrede, Loretta habe ihn verführt, das Buch zu stehlen – für wen, das wisse er nicht, er habe es aus reiner Liebe getan –, war grandios gewesen. So blieb dem honorigen Bellham nichts anderes, als ihm zur Flucht zu verhelfen. Lange, das hatte auf dem Zettel gestanden, werde er der Folter nicht mehr standhalten und den Namen seines Auftraggebers geheimhalten. Folter war immer ein Zauberwort. Aber waren dieses stinkende Loch und die Angst vor dem Galgen nicht auch Folter?
Die Alster war eiskalt gewesen, und daß er nicht abgesoffen war, war wieder so ein Glück. Und dann stand da gleich hinter dem Alsterbaum noch so ein dunkler Kerl mit einem Fuchs. Er hielt auch eine trockene Hose und Jacke bereit – aus grobem Leinen, aber um so besser, so fiel er nicht auf –, einen Beutel mit Brot und Käse und einen wärmenden Schluck Rum.
Er war die ganze Nacht geritten, die Außenalster nach Norden, bei Harvestehude durch die Furt und dann nach Westen. Bellham hatte gesagt, er solle sich gleich ins Dänische absetzen. Aber dazu hatte er keine Lust, es war auch viel zu nah, also war er nach Westen und dann hinter Barmbek nach Süden geritten, durch die Billwerder Marschen und weiter an der Elbe entlang flußaufwärts. DieNacht war dunkel, und er hatte Glück, wieder Glück, daß er sich gut genug auskannte und daß ihm niemand in die Quere kam. Aber so waren die Bauern. Wenn in einer dunklen Nacht Hufe vorbeijagten, dachten sie gleich an Geisterjäger und zogen ihre Decke über den Kopf, anstatt die Hunde loszulassen.
Gleich nach Sonnenaufgang passierte er bei Artlenburg die Elbfurt. Es war Niedrigwasser, die Strömung trotzdem stark und das Pferd nach dem scharfen Ritt müde und unwillig, aber sie hatten es geschafft. Sie waren nun im Hannoverschen, und niemand würde ihn hier suchen. Lukas Blank, würden alle denken, war von Räubern erschlagen worden. Oder, wenn sie etwas schlauer waren, von Kumpanen befreit in den Labyrinthen der Gänge verschwunden. Da konnten sie wochenlang nach ihm suchen. Und weil das jeder wußte, würden sie eben nicht wochenlang suchen. Sie würden Ausschau halten, auf den Plätzen, in den Gassen und Kaschemmen. Ein paar Tage würden sie jedes auslaufende Schiff durchstöbern und wahrscheinlich jede Menge Schmuggelware finden, aber keinen Lukas Blank. An den Toren würden sie jeden armen Kerl, der auch nur halbwegs seine Statur und Farben hatte, bis aufs Hemd durchsuchen. Aber sie würden nicht denken, daß er mit einem ausgezeichneten Fuchs und einer Rolle hübscher goldener Münzen auf einer kleinen Lichtung in einem Auwald in der Morgensonne lag und glücklich war.
Doch, Lukas Blank war glücklich. Er hatte alles verloren, und nun lag sein Leben vor ihm wie eine Landkarte voll weißer Flecken. Nun war alles zu gewinnen. Einen Moment dachte er an seine Schwester. Für Freda tat es ihm leid, wirklich leid, sie würde es nun schwer haben. Schwarzbach konnte keine Frau heiraten, deren Bruder ein Dieb und – das dachten ja auch die meisten – ein Mörderwar. Freda würde sich etwas einfallen lassen müssen. Schwarzbach setzte sie gewiß auf die Straße, und kein anderer Manufakteur würde ihr Arbeit geben. Aber Freda war stark. Sie fand immer einen Weg. In diesen schweren Zeiten mußte jeder selbst sehen, wo er blieb und was aus ihm wurde. Aus ihm, Lukas Blank, würde etwas Großes werden. Er hatte Bellham das Musterbuch nicht geben können, mochte der Teufel wissen, wo Loretta das Ding versteckt hatte. Irgendwann würde es vielleicht irgend jemand finden und, wenn er
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