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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gesicht der Frau, die gerade versucht hatte, auch ihr Genick zu brechen. Es waren doch nicht Melchers Schritte gewesen. Zwei Männer in der Uniform der Weddeknechte hielten Hanna fest, ein dritter stand mit dem Rücken an der Tür, und vor Rosina kniete Wagner, der gute, dicke Wagner mit dem freundlichenGesicht, das ihr nun herrlich vorkam wie das eines Erzengels. Schweiß lief ihm über Stirn und Wangen, aber er nahm sich keine Zeit, nach seinem großen blauen Taschentuch zu greifen. Er sah Rosina an, schnaufte, und ein breites Lächeln ging über sein Gesicht. «Gerade noch rechtzeitig», sagte er. «Gerade noch rechtzeitig, Ihr dreimal vermaledeites Frauenzimmer!»
     
    Hanna Melcher saß auf einem der hübschen weißen Sessel in ihrem hübschen Salon und sah aus dem Fenster in eine unbekannte Ferne. Eine blutige Schramme lief quer über ihre Stirn und endete an der Nasenwurzel, ihr Gesicht glich dennoch dem einer Marmorstatue, ihre Lippen, schmal wie Striche und fast weiß, waren fest geschlossen.
    «Nun gut», sagte Wagner, «Ihr müßt auch gar nichts sagen. Wir werden Euch jetzt mitnehmen. Es hat keinen Zweck, sich zu widersetzen. Aber das habt Ihr wohl verstanden.»
    Hanna reckte die Schultern, und in ihr Gesicht kehrte ein Hauch des gewohnten Stolzes zurück. Ihr Blick streifte Rosina, die, eingehüllt in eine Decke, in dem Ohrensessel kauerte und immer noch zu begreifen versuchte, was geschehen war.
    «Natürlich», sagte Hanna. «Ich werde mich nicht widersetzen. Nicht mehr. Doch wenn Ihr erlaubt», sie sah an sich herunter, lächelte und strich sanft über den glänzenden Stoff ihres Rockes, «ich möchte mir ein anderes Kleid anziehen, das für   …», sie räusperte sich kaum hörbar, «für meinen weiteren Aufenthalt geeigneter ist.»
    Wagner überlegte einen Augenblick. «Dagegen ist wohl nichts einzuwenden, solange Ihr diesen Raum nicht verlaßt.»
    Sie schüttelte den Kopf. «Nein, mein Ankleidezimmerist dort hinter der Tapetentür.» Wieder lächelte sie, und ihre Stimme klang fast heiter.
    Auf Wagners Gesicht war deutlich zu lesen, daß ihm das alles nicht behagte. Er wollte diese Dame so schnell wie möglich in den geschlossenen Kastenwagen, der vor der Tür wartete, verfrachten und in der Fronerei an die Kette legen. Er traute ihr nicht, so wie er keinem Mörder traute, aber sie war eine Dame, und eine Dame hatte Wagner noch nie arretiert. Er nickte einem seiner Knechte zu, der zog an dem Knauf der Tür, deren schmaler Rahmen die Begrenzung eines Tapetenbildes vortäuschte, und blickte in den kleinen Raum, der sich dahinter verbarg.
    «Kein Fenster drin», sagte er, «und es ist ja auch zu hoch zum Rausspringen.»
    Er trat zur Seite, um diese furchterregende Dame, die ihm mit ihrem madonnengleichen Gesicht wie eine Hexe vorkam, hineinzulassen.
    Rosina zitterte immer noch, die Wärme der Seidendecke erreichte nicht ihre Seele. Sie starrte auf die Tapetentür, Bilder flackerten durch ihren Kopf, und plötzlich sagte sie: «Melcher. Wo ist der Kutscher?»
    «Nur keine Angst.» Wagner warf einen zufriedenen Blick aus dem Fenster hinunter auf die Straße. «Melcher haben wir gleich unten eingefangen, der hat sich willig wie ein müdes Pferd in den Wagen sperren lassen. Da ist er gut bewacht.»
    «Aber wieso wußtet Ihr, daß ich hier war? Wieso wußtet Ihr von alledem?»
    «Wußten wir nicht.» Wagner blickte streng, auch wenn es ihm wirklich schwer fiel. «Wenn Ihr jetzt bei Mademoiselle Grelot wäret, hättet Ihr ganz allein die Schuld. Wir haben heute morgen am Hafen einen der Kerle gefangen, die Blank befreit haben. Der hatte gleich seinen Räuberlohnverspielt und versoffen und dabei zuviel geredet. So ist das immer mit diesen Kerlen. Dumm genug, wer die anheuert. Er hat in der Fronerei noch mal geredet, als hätte er eine Prise Bilsenkraut geschluckt. Und auch gesagt, daß der Herr dieses Hauses, der ehrbare Mr.   Bellham, ihm und seinen Kumpanen den Auftrag gegeben habe, Blank zu befreien und ihm aus der Stadt zu helfen.»
    «Ihr seid also nur gekommen, um mit Bellham zu sprechen?» Rosinas Stimme war nicht mehr als ein erschrecktes Krächzen.
    «Um ziemlich deutlich mit ihm zu sprechen. Ja. Deshalb haben wir auch gleich den Wagen mitgebracht. Ich glaube nämlich nicht, daß der Kerl gelogen hat. Aber Bellham ist nicht da, soll mit seinem Diener in Glückstadt sein. Wenn wir Pech haben, sind die wie Blank über alle Berge. Na, seine Frau muß es nun nicht mehr kümmern, wenn er sie

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