Lorettas letzter Vorhang
Magdalena mitgebracht, Mrs. Bellham, meine Cousine. Und unsere liebe Mademoiselle Bauer, aber Henny kennst du ja schon. Ist es nicht wunderbar? Nun habe ich zwei Cousinen, Magdalena und dich. Ich habe dir gewiß schon von ihr erzählt, ganz gewiß. Stell dir vor, wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Wie lange das her ist, will ich wirklich nicht nachrechnen, das wäre zu deprimierend. Aber jetzt ist sie mit dem lieben Robert von England nach Hamburg gekommen. Welche Freude. Zwei Jahre …»
Wieder unterbrach ein Räuspern die schnell fließenden Neuigkeiten, aber diesmal klang es nicht sanft, sondern kräftig und ungeduldig. Blohm stand mit grimmigem Gesicht an der Tür, die Hände wie ein ordentlicher Diener steif herabhängend, und sah Anne fragend an.
«Ja, Blohm, natürlich. Bring uns eine Kanne Schokolade. Und Sahne und Zitronenpasteten, sie sind gewiß schon fertig.»
Agnes hielt sich nicht mit dem üblichen «Das wäre doch nicht nötig» oder «Wir wollen dich aber nicht aufhalten» auf, sondern griff nach ihrem Mops und ließ sich elegant in einen der breiten, mit weißem Damast bezogenen Sessel gleiten. Agnes konnte sich nicht vorstellen, daß Damen am frühen Nachmittag Besseres zu tun hatten, als Besuche zu empfangen.
In der nächsten Stunde erfuhr Anne, daß Mr. und Mrs. Bellham vor acht Wochen ein Haus in der Großen Reichenstraße nahe dem Dom bezogen hätten, daß der liebe Robert in Geschäften zwei Jahre in Hamburg zu bleiben gedenke und die Ehre habe, als Mitglied der Merchant Adventurers aufgenommen zu werden. Und daß die liebe Magdalena ihn, damals ein bedauernswerter Witwer mit vier heranwachsenden Kindern, vor acht Jahren geheiratet habe. Außerdem hörte sie von allen Vorzügen und Charakterfehlern des italienischen Gesandten und vorherigen Besitzers von Carlino, wurde ebenso über die kommende Mode, das Haar hoch wie einen Bienenkorb aufzutürmen, informiert wie über die allgemein bekannte Tatsache, daß nun, da der gute alte Telemann im Grab in St. Johannis ruhe, von der kommenden Konzertsaison nicht viel zu erwarten und das Theater, diese seltsame neue Unternehmung, doch eine rechte Enttäuschung sei. In London dagegen …
Annes Versuche, Mrs. Bellham und Mademoiselle Bauer ins Gespräch zu ziehen, schlugen leider fehl. Dazu war Agnes zu laut und besonders ihre Cousine zu leise. Die saß, die Hände im Schoß gefaltet, aufrecht in ihrem Sessel und lächelte zu Agnes’ unaufhaltsamem Geplauder mit der geduldigen Nachsicht einer Mutter gegenüber ihrem aufgeregten Kind. Anne suchte Ähnlichkeiten in den Zügen der beiden Frauen, aber selbst wenn Form und Farbe ihrer Augen, überhaupt der Schnitt ihres Gesichts und auch ihre Gestalten einander sehr glichen, waren siedoch viel zu verschieden, als daß man sie auf den ersten Blick für Verwandte gehalten hätte. Agnes war immer in Bewegung und glänzend wie Quecksilber. Das raffiniert geschnittene Kleid in ihren Lieblingsfarben Schilfgrün und Silberweiß hätte an jeder anderen Frau am hellen Tag wie eine Verkleidung gewirkt, die Ohrringe aus kleinen Smaragden und Perlen ließen ihren makellosen Teint mehr denn je an Milch und Rosen erinnern. Und an die teuersten französischen Öle. Auch Henny Bauer, die äußerst muntere Tochter eines Kaffeehändlers, der wie Claes über einen holländischen Mittelsmann an einigen Schiffen auf der Westindien-Route beteiligt war, glänzte von Kopf bis Fuß festlich. Daß sie gehofft hatte, bei diesem Besuch ganz und gar zufällig dem älteren Sohn des Hauses zu begegnen, ahnte niemand. Auf ihren Wangen glaubte Anne sogar einen Hauch Rouge zu entdecken, was Madame Bauer kaum gebilligt hätte.
Mrs. Bellham investierte in ihre Schönheit gewiß nicht mehr als Wasser und Mandelseife. Sie sah bei aller vornehmen Blässe gesund aus, und ihr flach um den Kopf frisiertes Haar war nicht wie Agnes’ und Hennys mit allerlei Blüten, sondern nur mit äußerst praktischen Bändern geflochten. Das Kleid aus weichem hellgrauem Musselin, nach der englischen Mode nur halb so breit wie Agnes’ über den Hüften weit ausladende Röcke, war mit schmalen Streifen aus Satin geschmückt, die Spitze an den Ärmeln erlesen, aber in seiner Schlichtheit erinnerte es dennoch an die vornehme, etwas strenge Tracht reicher Mennonitinnen. Magdalena, fand Anne, war ein passender Name für Mrs. Bellham, und sie beschloß, diese Frau, die zwar wenig sprach, aber deren Augen Aufmerksamkeit und
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