Lorettas letzter Vorhang
sogar Seine Majestät, ich habe es selbst gesehen. Unsere Schauspieler am Gänsemarkt sind gegen ihn nur Schatten. Aber natürlich nehmen wir deine Einladung gerne an, Claes.»
Genau das hatte Anne befürchtet.
«Thomas und ich lieben das Theater so sehr, und ganz gewiß wird auch Robert gerne einmal etwas anderes tun, als immer nur Geschäfte zu machen.»
Magdalena lächelte immer noch, aber ihre Augen blickten kühl. «Ihr müßt entschuldigen, Monsieur Herrmanns. Aber ich kann in diesem Fall auch im Namen meines Mannes sprechen. Wir meiden das Theater, weil wir nicht glauben, daß es den Menschen zur Besserung gereicht. Wir glauben im Gegenteil, daß es die Menschen, wenn sie auch nur ein wenig schwach sind, auf Abwege führt. Gewiß nicht so gefestigte Seelen wie Euch oder Eure Gattin»,beeilte sie sich hinzuzufügen, «aber doch die Mehrheit der Menschen. Es ist einzig Aufgabe der Kirche, die gute Moral zu lehren. Natürlich ist nichts gegen ein wenig Vergnügen zu sagen, aber bedenkt die Wirkungen der Belustigungen, nicht zuletzt des Balletts, auf die Zuschauer auf der Galerie, auf die empfindsamen jungen Männer aus guten Häusern im Parkett.»
Sie lächelte entschuldigend, als sei sie selbst erstaunt über ihre lange Rede.
«Nun …» Claes hüstelte, froh, daß er das Gespräch nicht gleich mit Lessings zwar umstrittenen, aber, wie er fand, äußerst faden Theaterkritiken begonnen hatte. Dieser Lessing, das hatte man jedenfalls im Kaffeehaus erzählt, war ein kritischer Denker und, obwohl selbst Pastorensohn, immer auf Kriegsfuß mit dem strengeren Teil der Geistlichkeit. «Nun ja», fuhr er munter fort, «ich denke, das Theater wird den Pastoren und ihren Predigten kaum eine ernsthafte Konkurrenz sein. Bisher sind unsere Kirchen immer noch erheblich besser besucht als unser Theater.»
Claes betrachtete seine Frau, sah ihr bemühtes Lächeln, sah ihre gutverschnürte lederne Mappe griffbereit auf dem Tischchen neben der Tür, und endlich fiel ihm ein, daß dieser Besuch für sie die reinste Folter sein mußte. Nicht wegen Mrs. Bellhams strikter Frömmigkeit oder Agnes’ unaufhaltsam plätscherndem Geplauder. Daran war Anne schon gewöhnt, denn seit Agnes’ überraschender Heirat – die ganze Stadt hatte darüber getuschelt, immerhin war Thomas fünf Jahre jünger als seine Frau – hatte sie die entfernte, wirklich sehr entfernte Verwandtschaft zwischen Anne und Thomas Matthew zum Anlaß größerer Vertraulichkeit mit der Familie Herrmanns genommen. Nein, nicht deshalb war sie ungeduldig, sondernweil der Besuch sie daran hinderte, sich mit ihrem Lieblingsprojekt zu beschäftigen. Claes hatte ihre Verabredung mit Reimarus völlig vergessen.
«Aber nun, Mesdames», sagte er deshalb, bevor Agnes, der die ridige Haltung ihrer Cousine gewiß nur für einen Moment die Sprache verschlagen hatte, wieder das Wort ergreifen konnte, «muß ich Eure Plauderei unterbrechen. Man erwartet Anne dringend bei den Reimarus’. Wenn die Damen vielleicht mit mir vorliebnehmen wollen …»
«O nein, Monsieur», Magdalena erhob sich und strich sanft, aber entschieden ihre knisternden Röcke glatt, «wir sind schon viel zu lange geblieben. Es war so reizend, mit Eurer Gattin zu plaudern. Aber wir werden Euch nicht von Eurer Arbeit im Kontor fernhalten. Nicht wahr, Agnes?»
Agnes hätte zwar nichts lieber getan, als ein weiteres Stündchen mit Claes Herrmanns vorliebzunehmen, aber nun, da Magdalena sich dummerweise so voreilig erhoben hatte und Claes mit keiner Geste widersprach, blieb ihr nichts anderes, als sich zu verabschieden. Immerhin machte Magdalena den klugen Vorschlag, Anne zu ihrem Besuch in die Neustädter Fuhlentwiete zu fahren, es sei nur ein unbedeutender Umweg, und für sie, die sie noch fremd in der Stadt sei, eine gute Gelegenheit, Hamburg wieder ein wenig besser kennenzulernen.
Agnes unterstützte diesen Vorschlag entschieden. Ganz sicher würde es ihr in der Kutsche gelingen, herauszubekommen, was Anne bei Reimarus wollte. Immerhin war er ein renommierter Arzt, womöglich war sie schwanger. Das wäre wirklich eine Neuigkeit, die für den überstürzten Aufbruch entschädigte, denn darauf wartete, mehr als zwei Jahre nach der Hochzeit, die ganze Stadt.
Carlino hatte sie darüber ganz vergessen. Den fand Blohm verlassen auf dem Sessel, und wenn der Mops nichtgerade begonnen hätte, heftig zu schnarchen, hätte auch er ihn übersehen. So wurde Carlino ziemlich unsanft in die gerade abfahrende
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