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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nicht möglich, daß Ihr es in der Truhe gesehen habt?»
    «In der Truhe liegen so viele Papiere, ich habe sie nie beachtet.» Ihre Stimme zitterte, und die Hast ihrer Worte verriet nur mühsam beherrschte Furcht. «Ich versichere Euch, ich habe es nicht gesehen. Ich bin Euch dankbar für meine Arbeit, warum sollte ich Euch schaden? Ihr könnt das nicht glauben. Ich würde doch auch mir schaden. Und   …» Sie suchte nach Beweisen für ihre Unschuld, nach Worten, die das, was er gleich sagen würde, schon im voraus entkräften konnten. Sie wußte nun, wen er wirklich im Verdacht hatte. «Ich würde mir fürchterlich schaden, und ich hätte keine ruhige Minute mehr, Ihr wißt, daß ich aus einer ehrbaren Familie stamme. Hätte mein Vater betrogen oder es auch nur in Erwägung gezogen, würde die Kattundruckerei Blank heute noch   …»
    «Ihr habt recht. Ich kann Euch nicht ernsthaft verdächtigen. Und ich will es auch nicht, deshalb frage ich Euch noch einmal: Habt Ihr jemandem erzählt, was in der Truhe verwahrt wurde? Und – das ist von noch größerer Bedeutung – daß das Schloß nicht mehr richtig greift? Habt Ihr Eurem Bruder davon erzählt, Freda?»
    Genau diese Frage hatte sie erwartet, und sie war dagegen gewappnet. Sie erhob sich, kühl und mit gestrafftemRücken, aber es war zu spät. Wieder zu spät. Sie stand vor ihm, den Kopf erhoben, und spürte, daß er ihre Strenge als hilflose Maske erkannte.
    «Ich weiß, daß Ihr meinen Bruder für leichtfertig haltet. Und vielleicht», sie schluckte trocken, «vielleicht ist er das hin und wieder. Unsere Eltern haben ihn nicht für das Leben erzogen und vorbereitet, das wir nun führen. Das war falsch, doch so ist es nun einmal. Aber er ist ein guter Drucker, und ganz sicher ist er kein Dieb.»
    Schwarzbach schwieg. Er wußte jetzt, daß sein Plan gut war. «Ganz sicher nicht. Auch Euer Vater war ja, wie Ihr mich gerade erinnertet, ein ehrenwerter Mann», sagte er schließlich mit einem Lächeln, das sie nicht zu deuten wußte. «Ich mache Euch deshalb einen Vorschlag. Bader wird sein Heft in den nächsten Tagen nicht vermissen. Er hat seine Rezepte im Kopf, und so bleibt ein wenig Zeit. Ich werde auch nicht, wie ich es heute morgen selbstverständlich vorhatte, den Diebstahl der Wedde anzeigen. Nicht bis, sagen wir: in vier Tagen. Wenn nach vier Tagen das Musterbuch und das Rezeptheft wieder in meinem Kontor sind,
könnte
ich bereit sein, den Vorfall zu vergessen. Ich könnte sogar versäumen, Bader über den Diebstahl zu informieren, denn wer ein solches Heft einmal in Händen hat, wird nicht so dumm sein, es zurückzugeben, ohne die Rezepte vorher abzuschreiben.» Er nahm ihre Hand und hielt sie fest umschlossen. «Doch ich könnte den Vorfall vergessen», wiederholte er leise, «wenn wir ihn unter anderen Voraussetzungen betrachten könnten. Als ein kleines Problem, wie es in Familien ab und zu entstehen kann. Versteht Ihr mich?»
    Sie verstand ihn. Sie sah auf seine Finger, breit und ungewöhnlich kräftig für einen Mann, der seine Tage im Kontor verbrachte, und der Gedanke, daß diese Hände sienie wieder loslassen würden, bereitete ihr Übelkeit. Zum erstenmal in ihrem Leben haßte sie ihren Bruder.
     
    «Aber das kann doch gar nicht sein. Das Haus ist erst zwei Jahre alt. Ihr tut ja so, als sei es ein bröckeliger Tempel aus der Römerzeit.»
    Löwen stand in der Mitte der Bühne, den Kopf weit zurück in den Nacken gelegt, beschattete seine Augen mit beiden Händen und starrte hinauf zur Oberbühne. Rosina überlegte, ob die Rötung seines Gesichts an dieser anstrengenden Haltung oder an mühsam unterdrücktem Zorn lag. Der Klang seiner Stimme ließ auf Zorn schließen.
    «Zwei Jahre sind eine lange Zeit», klang es gedämpft von der Oberbühne, «und Ihr werdet bestimmt davon gehört haben, daß dieses Theater vom ersten Tage an eine wackelige Angelegenheit war.»
    «Wackelige Angelegenheit? Ich bitte Euch, es hat damals ein paar Probleme gegeben, durchaus strittige Probleme, die die Baudeputation aber schon vor der ersten Vorstellung ausbessern ließ.»
    «Notdürftig, äußerst notdürftig. So ein großes Gebäude ganz und gar aus Holz ist immer, wie ich schon sagte, eine wackelige Angelegenheit, und der Mörtel im Fundament, das ist amtlich, ist viel zu mager. Ist eine Tote nicht genug? Wollt Ihr, daß das ganze Haus über Eurem Publikum einstürzt?»
    Rosina hörte ein dumpfes Poltern hoch über den Soffitten, dann stiegen schwere Schritte

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