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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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die hölzerne Treppe hinab, und ein vierschrötiger Mann mit einem breitkrempigen schwarzen Hut trat auf die Bühne.
    «Alles voller Streben und Eisenklammern da oben, wie auch an den Wänden und am Dach hinter den Logen und der Galerie. Flickwerk sage ich dazu.»
    «Pardon, Monsieur.» Rosina trat aus den Kulissen in das dämmerige Licht der Bühne. «Erst gestern war ein Baumeister hier und hat gefunden, daß das Haus solide ist. Warum muß es schon wieder geprüft werden?»
    «So ein Haus ist nie genug geprüft.» Der Mann beachtete die junge Frau nicht, deren Kleid viel zu schlicht war, als daß sie von Bedeutung sein konnte. Er sah Löwen an, als habe der die Frage gestellt, und hob mahnend den Hammer, mit dem er gerade erbarmungslos an den Dachstreben herumgeklopft hatte. «Es geht um Menschenleben. Obwohl ich sagen muß, wer in ein Theater geht, ist selbst schuld. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Buch Sirach, Kapitel drei, Vers siebenundzwanzig.»
    Löwen nickte ergeben. Er hatte sich längst abgewöhnt, mit Menschen zu streiten, die gleich eine passende Bibelstelle samt Kapitel- und Versnummer auf der Zunge trugen.
    «Gewiß», sagte er. «Die Bibel ist das Buch der Bücher. Lobet den Herren. Ja. Aber das möchte ich auch wissen: Warum macht Ihr diese neue Untersuchung? Wer hat Euch beauftragt?»
    «Das Maurer- und Zimmeramt natürlich. Wir haben neue Hinweise auf Mängel, erhebliche Mängel. Wenn Ihr mir nun den Weg zu den Garderoben zeigen wollt?»
    Löwen versuchte gar nicht erst herauszufinden, was die Baudeputation vom Maurer- und Zimmeramt unterschied und welche der beiden Institutionen letztlich zu bestimmen hatte, ob in diesem Haus Theater gespielt werden durfte oder nicht. Er hatte sich auf solche Dinge nie verstanden und gerade jetzt ganz andere Sorgen. Für diese neue, tatsächlich schwerwiegende, hatte er einfach keinen Platz mehr. Es würde sich schon alles regeln, irgendwie, und so warf er Rosina nur einen müden Blick zu und beeiltesich, den mürrischen Mann mit dem Hammer in die Garderoben zu führen.
    Rosina konnte sich vorstellen, warum der Zimmermeister das Dach, die Stützpfeiler und die Bühnenmaschinerie überprüfte. Aber was gab es in den Garderoben zu untersuchen?
    Monsieur Löwen, fand sie, stellte nie die richtigen Fragen, er war einfach nicht neugierig genug. Sie sah hinüber zu der Kulissengasse, in der die Souffleuse ihren Platz hatte, und schloß für einen Moment die Augen. Dann beeilte sie sich, die beiden Männer einzuholen.
    Der Zimmermeister stand in der Garderobe der Schauspielerinnen und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. «Aha», sagte er, klopfte mit den Knöcheln an der Wand zwischen den Fenstern entlang, prüfte mit dem Hammer hier und da die Decke und öffnete und schloß alle Fensterriegel und die Tür zur Garderobe der Tänzerinnen. Dann betrachtete er mißbilligend die Schmink- und Ankleidetische, rüttelte an den Platten und zog die erste Schublade heraus.
    «Fürchtet Ihr, auch eine der Schubladen könnte uns erschlagen, Monsieur? Publikum hat hier ja keinen Zutritt. Vielleicht solltet Ihr auch die Körbe mit den Requisiten überprüfen.» Rosina zeigte mit unschuldigem Lächeln auf die Körbe neben den Kostümstangen. «Neulich erst ist mir einer der Deckel auf die Hand gefallen, und ich konnte eine ganze Stunde lang kaum mein Mieder binden.»
    Der Zimmermeister sah verächtlich auf den Daumen, den sie hochgestreckt wackeln ließ, und wandte sich wieder an Löwen. «Hier sind nur Frauenkleider», sagte er, und es klang, als habe er eine Konfektschale entdeckt, aber leer gefunden.
    «Natürlich! Die Herren haben eine eigene Garderobe. Wir halten auf Anstand, wie andere Bürger auch. Was dachtet Ihr?»
    Das erforderte keine Antwort. Löwens Angebot, ihm auch diese Räume im hinteren Anbau des Hauses zu zeigen, lehnte der Zimmermeister ab. Es sei nun wohl genug, man werde Nachricht geben. Er steckte seinen Hammer zu dem anderen Werkzeug in seinen ledernen Beutel und war schon verschwunden.
    Erst am nächsten Tag fiel Rosina auf, daß der Mann vom Maurer- und Zimmeramt genau gewußt hatte, welche der Türen zur hinteren Treppe in den Hof führte. Wahrscheinlich, dachte sie, war er früher schon hier gewesen, zu einer der vielen Prüfungen, die das Haus seit seinem Bestehen erfahren hatte.
    Löwen ließ sich stöhnend in einen Ruhesessel fallen und rieb sich müde die Augen. «Der hat uns wirklich noch gefehlt», murmelte er. «Aber gut, daß Ihr

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