Lorettas letzter Vorhang
niemand wird Euch das erzählen, was ich erfahren kann, einfach indem ich hier und da ein wenig zuhöre. Euer Appell ist gut gemeint, Wagner, das weiß ich, aber Ihr könnt nicht im Ernst annehmen, daß ich mich nun auf die Trauerbank setze, die Hände im Schoß falte und über einem Gebet warte, daß Lorettas Mörder gefaßt wird. Im letzten Jahr war ich nur neugierig, in diesem Jahr bin ich zornig, und ich werdeLoretta nicht im Stich lassen, indem ich mich von Euch wie ein Kind behandeln und einsperren lasse.»
Claes war der erste, der laut zu lachen begann, Anne stimmte mit ein, wenn auch ein wenig halbherzig, und auch Wagner, der eben noch so schön gegrinst hatte, verzog seine Lippen zu einem noch schöneren Grinsen.
Blohm erzählte bald darauf in der Küche, was er gehört hatte. Elsbeth nickte zufrieden. Allerdings fand sie es schade, daß Rosina sich auch nach der folgenden längeren Debatte nicht doch noch bereit erklärt hatte, wenigstens im Herrmannsschen Haus zu wohnen. In der Neustadt, hatte sie gesagt, wohnten die meisten Komödianten, die Krögerin wisse alles, und was sie nicht wisse, erfahre Jakobsen. Und der Wirt vom
Bremer Schlüssel
werde auch auf sie aufpassen, wenn es hart auf hart komme. Die Schenke sei ja nur wenige Häuser entfernt. Und nun sei genug debattiert. Nun wolle sie endlich mit der Arbeit beginnen.
5. KAPITEL
DONNERSTAG, DEN 8. OKTOBER, VORMITTAGS
Freda Blank strich die dunkle Haarsträhne, die schon wieder aus dem Kamm gerutscht war, mit der linken Hand hinter das Ohr. Dann schob sie das Blatt weiter ins Licht und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Monsieur Klappmeyer hatte drei Entwürfe zur Auswahl bestellt, bevor er sich für ein Muster für die neue Ausstattung seines Speisesaals entscheiden wollte. Es sollte eine anmutige Hirtenszene zeigen, in die die Fassade seines Hauses wie ein Wappen eingearbeitet war. Freda war daran gewöhnt, ihre Muster nach den Wünschen der Käufer zu gestalten, aber diesen fand sie so eitel und unpassend, daß ihr ein Entwurf nach dem anderen mißlang. Nun endete schon der achte Bogen zerrissen in dem Korb unter ihrem Tisch, und gerade, als sie beschloß, sich die Fassade einfach als eine besonders schöne, nur etwas eckige Blüte vorzustellen, und zum Rötelstift griff, um mit neuer Zuversicht und ohne künstlerische Bedenken die geforderten Muster zu skizzieren, kam einer der Druckergehilfen herein. Sie möge zu Monsieur Schwarzbach kommen, der Herr erwarte sie gleich im Kontor. Und schon war er wieder verschwunden.
Freda erhob sich, schloß mit einem Seufzer das Fenster, wischte sich die rötlich verfärbten Hände an einem groben Leintuch ab und machte sich auf den Weg. Sie warSchwarzbach dankbar. Oder sollte sie besser sagen: zu Dank verpflichtet? Er bot ihr die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ohne sich als Dienerin fühlen zu müssen. Sie arbeitete hart, aber immerhin war es eine Arbeit, die sie gerne tat und die ihren Talenten entsprach. Als Putzmacherin oder Weißwäscherin, selbst wenn jemand sie als Köchin, Hausdame oder Gouvernante ins Haus geholt hätte, wäre sie kläglich gescheitert. Für diese Art Beschäftigungen, die verarmten Mädchen aus guten Familien ohne hilfreiche Verwandte offenstanden, hatte sie keine Talente. Vor allem fehlte es ihr an der dazu nötigen Bereitschaft, den Nacken zu beugen.
Aber mußte sie ihm wirklich dankbar sein? Als sie für sich und ihren jüngeren Bruder ein neues Leben aufbauen mußte und niemand ihr eine Arbeit geben wollte, hatte er sie als Schildermädchen und Lukas als Streichjungen, als Gehilfen der Drucker, eingestellt. Für den üblichen Hungerlohn, der kaum zum täglichen Brot reichte. Daß er ihre Talente schnell erkannte und sie nun schon seit drei Jahren als Musterzeichnerin und Lukas seit dem letzten Winter als Drucker arbeiten konnte, war ein Glück. Es waren gutbezahlte Positionen, die ihnen nicht annähernd ihr altes, aber doch ein halbwegs unabhängiges Leben ermöglichten. Und nur sehr selten fand sich eine Frau unter den Musterzeichnern, Schwarzbach war für diese Entscheidung verspottet worden. Allerdings nur, bis die ersten von Fredas Entwürfen auf Kattun gedruckt und verkauft worden waren.
Tatsächlich, dachte sie nun, war es also auch ein Glück für ihn. Freda war wohlerzogen und stets zurückhaltend, aber sie wußte um den Wert ihrer Leistungen. In den letzten Wochen allerdings fiel ihr die Musterzeichnerei oft schwer. Was sie zu Anfang so
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