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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Versuche, sich ein wenig zu beeilen – er war schon spät   –, scheiterten an dem Irrtum seines Körpers, der sich bei heftigem Seegang auf unsicheren Planken wähnte. So hielt er sich dicht an den Häuserwänden, um wenigstens das Gefühl einer sicheren Reling zu haben. In der Martinskapelle, stand auf dem Zettel. Er wußte nicht genau, welche der Seitenkapellen das war, aber er würde sie schon erkennen. Er würde   …
    «Paßt doch auf, Herr, so was Blödes.»
    Eine junge Frau mit schmutzigem Gesicht schubste ihn im Vorbeihasten grob zur Seite, mit wehenden Röcken auf der Jagd nach einem fröhlich gackernden Huhn, dem esgelungen war, aus einem der engen hinteren Höfe in die Freiheit und zu den dickeren Würmern am Alsterufer zu entwischen.
    Erschrocken lehnte er sich gegen eine Hauswand. Ob es an seinem branntweinschweren Kopf lag oder an dem stetigen Gefühl, beobachtet zu werden – er war heute schreckhaft wie eine alte Jungfer. Als einer der Drucker ihm heute morgen auf die Schulter geschlagen und gerufen hatte, so einer sei er also, man wisse alles, war ihm der gerade in die Farbe getauchte Druckstock auf den Kattun gefallen. Eine ganze Bahn war verdorben, und die Männer an den anderen Tischen hatten grölend gelacht. Er hatte sie blöde angestarrt, und erst als einer freundlich den Druckstock vom verschmierten Kattun nahm, ihn ihm in die Hand drückte und sagte, das hätte man ja nie gedacht, daß er sich auch mal wie ein richtiger Drucker vollaufen lasse, konnte er wieder atmen. Zum ersten Mal, seit er Drucker geworden war, behandelten die anderen ihn wie einen der Ihren. Er war nicht sicher, ob ihm das lieb war, aber jetzt konnte es nur von Vorteil sein. Er hatte in ihr Lachen eingestimmt, sich den schmerzenden Kopf gehalten, und die anderen hatten ihm geholfen, eine neue Kattunbahn auf den Tisch zu legen. Das verbrüdernde Gelächter der Männer gefiel ihm allemal besser als Fredas anklagendes Gesicht.
    Wie konnte er sich nur so gehen lassen? Er hatte Trunkenheit immer ekelhaft gefunden. Aber am schlimmsten war, daß er sich nicht mehr erinnern konnte, was er gestern abend erzählt hatte. Er erinnerte sich, daß er im
Bremer Schlüssel
auf Rosina gewartet hatte. Diese einfältige Zimmerwirtin, mehr Angst als Gebete im Kopf! Hätte sie ihn in Rosinas Zimmer auf sie warten lassen, wäre alles ganz einfach gewesen. Natürlich war das nicht schicklich, aberschließlich war sie eine Komödiantin. Doch die zimperliche Krögerin hatte ihn nicht mal in ihre muffige kleine Diele gelassen.
    Und dann in der Schenke   … Mußte er seine Trauer um Loretta mit diesem ekligen Fusel ertränken? Hatte er sie etwa so geliebt? Es stimmte, einmal hatte er sogar daran gedacht, sie mitzunehmen, wenn er fortging. Obwohl er genau wußte, daß das nur hinderlich und reine Sentimentalität gewesen wäre. Er war auch nicht sicher, ob sie überhaupt mit ihm gegangen wäre. Aber sie war so entzückend gewesen. Und so erregend. Ganz anders als die Mädchen, die er sonst kannte.
    Oder hatte der Wirt oder sonst jemand ihm etwas in den Krug geschüttet? Irgendein giftiges Pulver, das den Branntwein doppelt wirken ließ? Es war so düster dort gewesen, fast wie hinter den Kulissen. Er hatte gedacht, daß ihn in dieser Neustadt-Schenke niemand kannte. Er hatte nur wenige Gesichter ausmachen können und keines erkannt. Und doch wußte heute schon die ganze Kattundruckerei, daß er gestern im Branntwein ersoffen war. Vielleicht sollte er doch die Stadt gleich verlassen. Aber wie? Womit? Schließlich hatte er dies alles nicht auf sich genommen, um als Bettler zu enden.
    Er hatte sich die Sache wohl doch zu einfach vorgestellt, jedenfalls mußte er jetzt sehr wachsam sein. Und schnell.
    Auf dem Platz vor St.   Petri herrschte das übliche mittägliche Gedränge von Menschen, Karren, Wagen und Vieh, das vom Steintor her zu den Schlachthöfen getrieben wurde. Die Kirche mit dem hohen kupfernen Spitzturm im Zentrum der Stadt, nicht weit von Rathaus und Börse, war vor allem ein Gotteshaus der reichen Händler und Handwerker. Aber auch Bauern und Krämer aus dem Umland,die für ihre kleinen Geschäfte durch die Tore kamen, machten in Hamburgs neben dem Dom ältester Kirche gerne eine Pause, zum Gebet oder für eine Mütze ungestörten, sicheren Schlafes. Lukas griff nach dem eisernen Ring im Maul eines eichblattumrankten Löwenkopfes und zog die schwere Tür des Hauptportals auf.
    Er erkannte sie gleich, sie saß, in ein dunkles

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