Lorettas letzter Vorhang
Bedeutung. Daß er Loretta nie wieder sehen würde, war gewiß. Ehe sie ihn fragen konnte, was er meine, fiel sein Kopf wieder auf seinen Arm.
Jakobsen eilte in die Küche, und gerade, als er mit einem Krug Wasser wiederkam, der Lukas naßkalt in die Gegenwart zurückholen sollte, betrat Wagner die Schenke. Das Wasser nützte nicht viel. Lukas setzte sich wohl abrupt auf, schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund und versuchte seinen Blick auf Rosina zu konzentrieren, aber dann nuschelte er nur etwas wie: Das habe er nicht gewollt, Loretta sei ein gutes Mädchen, und er müsse es unbedingt zurückhaben.
«Soso», sagte Wagner, und Rosina starrte den Mann mit den glasigen Augen zornig an. Am meisten ärgerte sie allerdings, daß sie ihn nicht früher entdeckt und Jakobsen ihr nicht gleich gesagt hatte, daß Lukas hier auf sie warte. Nichts wäre ihr an diesem Abend wichtiger gewesen, als mit Lukas Blank zu sprechen. Vandenfelde und seine Kumpane konnte sie hier fast jeden Tag treffen. Um mit Lukas Blank zu reden, ohne daß gleich die ganze Stadt darüber klatschte, mußte sie sich schon etwas einfallen lassen. Nun war er da, und sie würde kein vernünftiges Wort aus ihm herausbekommen. Und wenn Wagner – er hatte schon wieder dieses Jagdhundglitzern in seinen Augen – auf die Idee kam, den Kattundrucker gleich in die Fronerei bringen zu lassen, würde sie ganz gewiß keine Gelegenheit mehr dazu haben. Es war ihr einmal gelungen, sich in die Fronerei einzuschleichen, ein zweites Mal würde das kaum möglich sein.
«Lukas», rief sie, «so wacht doch auf. Ich bin’s, Rosina. Ihr wolltet mit mir sprechen.»
Wieder sah er sie an, aber er verzog nur den Mund wie ein weinerliches Kind.
«Das hat keinen Zweck.» Jakobsen, der entschieden hatte, daß hier auch ein ordentlicher Schlag mit der flachen Hand nicht helfen würde, hatte nun keine Geduld mehr. «Wer so voll ist, braucht Stunden, bis er wieder einen halbwegs vernünftigen Satz denken oder gar sprechen kann. Weißt du, wo er wohnt?»
Rosina schüttelte den Kopf, aber Wagner sagte: «Ganz in der Nähe, in der zweiten Gasse hinter den Kalkhöfen. Über der Kammacherei.»
Und so wurde Lukas Blank, der an diesem Abend auch nicht mehr gehen konnte, in Jakobsens Schubkarre für die größeren Lasten nach Hause gebracht. Pietmann, einSteinmetzgeselle und Jakobsens Nachbar, gab sich große Mühe, und die Karre fiel nur einmal um.
In Lukas’ Rocktasche steckte ein Fetzen Papier, auf den mit einem Bleistiftstummel eine eilige Nachricht gekritzelt war. Aber das wußte niemand außer Rosina, und sie hoffte, er werde am nächsten Morgen schon wieder lebendig genug sein, um den Zettel zu finden.
«Ich fürchtete, Ihr würdet ihn gleich mitnehmen und in die Fronerei stecken», sagte Rosina, während Jakobsen den Kattundrucker hinaus in den Hof schleppte und in die Karre hievte.
«Nun», Wagner schielte in der Hoffnung auf einen Schluck von Jakobsens gutem Wein in den leeren Wasserkrug, «das wäre vielleicht das beste gewesen. Aber ich denke, das hat noch Zeit. Einer, der nicht stehen kann, kann auch nicht weglaufen.»
Als Jakobsen in die Schankstube zurückkehrte, bekam Wagner doch noch sein Glas Wein. Aber es schmeckte ihm nicht. Er hatte keinen Grund, unzufrieden zu sein. Der Mord war erst gestern geschehen, dennoch hatte er das Gefühl, schon viel zu lange in einem großen Heuhaufen herumzustochern. Er suchte einen Mörder, das kam nicht alle Tage vor, aber es war auch nicht der erste, und bisher hatte er, bis auf einen, alle gefaßt. Bisher hatte er allerdings auch nie das Gefühl gehabt, auf einem fremden Kontinent zu jagen. Er kannte die Stadt wie seine Rocktasche, selbst die düstersten Ecken in den Gängen um St. Jakobi und in der Neustadt waren ihm vertrautes Terrain. Auch das Theater, so hatte er gedacht, sei ihm nicht fremd, aber er war bisher eben nur auf der Galerie gewesen, einmal auch in der Schankstube, aber die Menschen und das Leben hinter der Bühne waren ihm eben doch fremd.
Er war es gewohnt, nicht gerade begeistert empfangen zu werden. Vor allem in den Bürgerhäusern ließ man ihn gewöhnlich nur durch die Hintertür ein und behandelte ihn wie einen Kontorboten. Aber das hier war noch etwas anderes. Man antwortete ihm höflich, hin und wieder sogar mit scheinbarer Beflissenheit. Und doch war er keineswegs sicher, ob die allgemeine Ahnungslosigkeit nicht nur eine schlechte Komödie war.
Bei jeder Befragung gab es sonst einen, mit Glück
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