Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Schultertuch gehüllt, nah an der Wand in einer der hinteren Bänke der Kapelle. Sie hielt sich sehr aufrecht, den Blick geradeaus auf das schlichte Kreuz über dem Altar gerichtet. Oder nur auf das darüberliegende Spitzbogenfenster aus buntem Glas? Waren Komödiantinnen fromm? War Loretta fromm gewesen?
    Als er sich neben sie setzte, sah sie ihn nur kurz von der Seite an. «Ihr seht ziemlich krank aus», sagte sie leise, aber dann verlor sie keine Zeit mehr mit Höflichkeiten. «Ihr wolltet mich gestern sprechen. Es muß wichtig gewesen sein, wenn Ihr so lange auf mich gewartet habt.»
    Er nickte. Sie hatte eine angenehme Stimme und eine gebildete Sprache, und sie war gewiß ein wenig spröde, aber nicht dumm. Genauso hatte Loretta sie beschrieben.
    «Verzeiht meinen Zustand gestern, Mademoiselle, ich weiß, es gibt keine Entschuldigung, aber Ihr werdet am besten verstehen, wie jammervoll mir zumute ist. Der Schmerz um Loretta, um Mademoiselle Grelot, hat mich die Beherrschung gekostet. Ein unschätzbarer Verlust für die Kunst, aber für mich – Ihr wißt, daß wir uns nahestanden?»
    Rosina nickte. «Aber ich wußte nicht, wie sehr.»
    Seufzend preßte er beide Hände fest auf seine Brust. «Oh, unendlich nahe.»
    Seine Augen suchten ihre, und auch wenn Rosina nicht ganz sicher war, ob dieser dunkle, schwimmende Blick eine späte Folge des Zechens oder tatsächlich ein Zeichen echter Trauer war, wurde ihre Stimme um eine winzige Nuance weicher.
    «Und so kamt Ihr in den
Bremer Schlüssel
, um mit mir über Euren Kummer zu sprechen?»
    «Ja, das wollte ich.» Er schluckte, erleichtert, daß er offenbar klug genug oder schon zu betrunken gewesen war, um zuviel zu verraten. «Mit niemandem sonst kann ich über sie sprechen, und niemand sonst kann ermessen, was ich verloren habe.»
    Warum seufzte sie nun nicht? Warum nahm sie nicht seine Hand, um sie tröstend zu drücken? In diesem Moment erklangen von der großen Orgel über dem Hauptportal die ersten Klänge eines Chorals. Lukas sah sich unruhig um. Die Kirche füllte sich. In St.   Petri verging kaum eine Stunde, ohne daß einer der zahlreichen Prediger auf die Kanzel stieg und den Leuten Gottes Wort und die Welt erklärte. Lukas hatte nichts gegen eine gute Predigt, aber gerade jetzt?
    «Wir müssen uns beeilen, Mademoiselle, der Gottesdienst beginnt, und ich muß zurück in die Kattundruckerei. Ihr versteht, unsere Pause ist nur kurz, und gerade heute – nun ja, meine Arbeit ist heute ein wenig langsamer als sonst. Ich möchte meinen Kummer mit Euch teilen, ja, aber ich möchte Euch auch um etwas bitten. Versteht es bitte nicht als ein Zeichen mangelnder Ehrfurcht vor   …», er räusperte sich leise und preßte die gefalteten Hände an die Brust, «vor dem Tod unserer lieben Freundin, aber in ihrem Besitz war ein Buch. Ein Buch, das mir lieb und teuer ist, sehr teuer sogar, tatsächlich gehört es zu den letzten Dingen, die mich noch an meinen Vater erinnern. Ja, und ich gab es Loretta zur Verwahrung. Ihr werdet verstehen, daß ich es wiederhaben möchte. Vielleicht hat sie es Euch gezeigt? Nein? Nun gut, aber Ihr könntet nachsehen, ob es bei ihren Sachen im Theater ist. Gewiß hatte sie einen Kasten für ihre Schminkutensilien, Kämme und dergleichen. Könntet Ihr das für mich tun?»
    Er hatte sehr leise und sehr hastig gesprochen, und obwohl Rosina ihn nur schwer verstehen konnte, rückte sie ein wenig von ihm ab. Da war ein Drängen in seiner Stimme, eine Gier, die nicht zu seiner Frage nach einem einfachen Buch paßte.
    «Was war das für ein Buch? Und wann habt Ihr es ihr gegeben?»
    «Oh, nur ein Buch aus der Bibliothek meines Vaters, sein Inhalt ist ganz ohne Belang, es ist auch nicht besonders wertvoll, nur mir ist es kostbar. Es ist ganz fest in Ölpapier gewickelt. Wenn Ihr es findet, müßt Ihr es gar nicht öffnen, es könnte nur Schaden nehmen, denn es ist ein altes Buch und nicht mehr in sehr gutem Zustand. Ihr erkennt es auch so an dem Ölpapier.»
    Halt, sagte eine Stimme in ihm, halt. Du bist zu eifrig, zu wichtig, es ist doch ein harmloses, ein ganz unwichtiges Buch, nur als Familienerinnerung von persönlichem Wert. Loretta hatte ihn immer ausgelacht, wenn er falsche Töne angeschlagen hatte. Einer Komödiantin, hatte sie gesagt, könne man nun mal kein Theater vormachen.
    «Aber natürlich», fuhr er ruhiger fort, «will ich Euch nicht zumuten, in den Sachen unserer Freundin zu suchen, gewiß ist es schmerzhaft für Euch. Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher