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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Euch im Theater waren? Wo war überhaupt Euer Platz?»
    «Ich hatte ein Billett für das Parkett, wie immer, aber ich traf Freunde, die ihre Plätze auf der Galerie hatten, und so ging ich mit ihnen hinauf. Ich war deshalb während der ganzen Vorstellung auf der Galerie. Natürlich bin ich auf und ab gegangen, wie man das im Theater eben tut, ich habe Bekannte begrüßt und ein wenig geplaudert. Aber vornehmlich in der Pause, ich ziehe es vor, den Akteuren auf der Bühne genau zuzusehen.»
    «Und wann habt Ihr von ihrem Tod erfahren?»
    «Am nächsten Morgen. Als ich in die Druckerei kam, sprach schon jeder davon. Ich war tief erschüttert, wirklich tief erschüttert. Ich bin es noch. Es fällt mir sogar schwer, meine Arbeit mit der nötigen Akkuratesse zu tun. Es ist eine Tragödie.»
    Wagner wußte nicht, ob Lukas von Lorettas Tod oder von der Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit sprach, aber das war ihm nun gleichgültig. Er setzte sich an Schwarzbachs Pult, tauchte die Feder in das Tintenfaß und notierte auf einem seiner kleinen Zettel die vier Namen, die Lukas ihm als Zeugen für seine Anwesenheit auf der Galerie nannte. Damit war Lukas entlassen. Vorerst. Aber das sagte der Weddemeister ihm nicht.
    Lukas ging zurück an seinen Drucktisch. Er hatte es nicht besonders eilig, und wer ihm auf dem Weg über den Hof und durch die Säle begegnete, wunderte sich, daß er offenbar niemanden sah. Es hatte sich schon herumgesprochen, daß im Kontor ein Weddemeister auf Lukas gewartet hatte, und die ersten Wetten, ob er an seinen Drucktisch zurückkehren würde, waren abgeschlossen. Nun war er zurück und erzählte nichts, sah nur aus, als sei er in Gedanken weit fort. Das war er tatsächlich. Lukas Blank, der lange genug vergeblich auf Nachricht von Lorettas Freundin gewartet hatte, dachte fieberhaft darüber nach, ob und wie er in dieser Nacht selbst das verflixte Musterbuch finden konnte. Er hatte endlich begriffen, daß nun nichts mehr bis morgen Zeit hatte.
    SONNABEND, DEN 10.   OKTOBER, NACHMITTAGS
    Augusta Kjellerup war keine sehr geduldige Frau. Wenn sie einmal etwas als richtig erkannt hatte, hinderte sie nichts daran, es umgehend in die Tat umzusetzen. So hatte sie auch ihr komfortables Stadthaus in Kopenhagen ohne lange Grübelei geschlossen und war zu ihrem Neffen nach Hamburg gezogen, als dessen erste Frau gestorben war und er ihre Hilfe dringend brauchte. Sophie, seine einzige Tochter, war noch zu jung gewesen, das Haus zu führen, und zu verstört durch Marias tragischen, frühen Tod. Augusta war damals schon lange verwitwet gewesen, und ihrem Lieblingsneffen beizustehen war ihr viel mehr als eine Pflicht. Inzwischen war das Haus in Kopenhagen verkauft, und Augusta wohnte ständig wieder am Neuen Wandrahm. Viele bewunderten ihre Bereitschaft, ihr ruhiges Witwenleben gegen die Turbulenzen in einem Hauswie dem Herrmannsschen zu tauschen, als Selbstlosigkeit. Tatsächlich aber war sie hier, wo sie niemals dazu kam, an Langeweile auch nur zu denken, einfach glücklich.
    Auch Claes’ zweite Ehe, an der sie nicht ganz unschuldig war, trübte dieses Glück nicht. Zwei Jahre nach der Hochzeit bewunderte sie Anne nach wie vor für ihren Eigensinn und ihre Intelligenz, liebte sie für ihre Heiterkeit und Wärme, die im ganzen Haus zu spüren waren. Einzig der Tod ihres alten Freundes, des Musikdirektors Telemann, im vergangenen Juni war ihr ein großer schwarzer Kummer. Sie würde immer um ihn trauern, er war nicht nur wegen seines musikalischen Genies ein ganz besonderer Mensch gewesen. Aber in den letzten Tagen hatte sie gefühlt, daß es höchste Zeit war, in das Leben, in den Alltag zurückzukehren. Und so eine kleine Scharade kam ihr da gerade recht. Diese seltsamen Frömmler, die das Theater so verteufelten, sollten ihr schon für eine Weile glauben, daß sie ganz und gar ihrer Meinung war.
    Es war leicht gewesen, herauszufinden, wer sie waren und wo und wann sie sich trafen. Augusta war einfach zum Hauptpastor von St.   Katharinen gegangen, der als kämpferischer Theatergegner weit über die Stadt hinaus bekannt war, hatte ein angemessen bekehrtes Gesicht gemacht und ihn danach gefragt. Er hatte sie zwar höchst mißtrauisch angesehen, aber nur zu gerne geglaubt, daß seine donnernden Predigten endlich auch bei ihr Wirkung zeigten, und Auskunft gegeben.
    Augusta hatte dabei keineswegs ein schlechtes Gewissen gehabt. Hauptpastor Goeze war auch ihr Pastor, sie schätzte ihn sehr und spendete freigiebig,

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