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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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natürlich nicht spreche, gerade wenn es sich um eine unverheiratete junge Dame handele, aber man sei ja hier ganz
entre nous
.
    Dann komplimentierte sie Augusta auf den letzten freien Stuhl in der Runde zwischen Mrs.   Bellham   – Aha, dachte Augusta   –, der strengen Dame in Blaugrau, und dem jungen Prediger, dessen Namen sie schon wieder vergessen hatte. Es war ein äußerst eleganter Stuhl mit bequemen Armlehnen, der ganze Salon war erlesen möbliert. Die mit kornblumenfarbenem Chintz bezogenen Stühle und Sessel, der Teppich aus chinesischer Seide und das heitere, wenn auch nicht sehr kunstvolle Gemälde einiger Damen und Herren in einer lichten Gartenlandschaft paßten genauso wenig zu Augustas Vorstellung von diesen Leuten wie das üppig mit Goldmalerei verzierte Kaffeegeschirr auf dem Tisch aus feinstem Rosenholz und – tatsächlich – der Duft von mit Zimt gewürztem Kaffee.
    Die Gastgeberin, deren üppige Formen in ihrer holunderfarbenen Seide noch üppiger wirkten, saß ihr direktgegenüber, daneben, aufrecht wie ein Storch, eine äußerst dünne Dame, Madame Baston, in einem bis zur Selbstverleugnung schlichten Kleid aus allerdings sehr kostbarer kastanienfarbener Seide. Sie mochte 30   Jahre alt sein oder auch 35 oder 40, das war nicht zu entscheiden. Ihre Lippen waren schmal, aber viel zu rot für ihren blassen, glatten Teint, und ihre Hände steckten in Handschuhen aus der gleichen Seide wie ihr Kleid. Augusta hätte zu gerne gewußt, warum sie ihre Hände versteckte.
    Mademoiselle Möllemann und Madame Kornweier sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Beide hatten ihr aschblondes Haar unter einer lockeren Haube aus hauchfeinem Batist kaum verborgen, beide hatten die Hände in ihren Röcken aus blaßblau und schwarz gemustertem Kattun gefaltet, beide lächelten auf die gleiche Weise milde und doch um Strenge bemüht, kurz und gut, die Damen waren Schwestern.
    Augusta war erleichtert. Zwar kannte sie Madame Bauer flüchtig, und von Magdalena Bellham hatte Anne gestern als von Agnes Matthews frommer Cousine erzählt, aber alle anderen hatte sie nie zuvor gesehen, auch wenn ihr die Namen vertraut waren. In Hamburg lebten etwa 100   000   Menschen, doch der kleine Teil davon, der zu den Kreisen der Herrmanns gehörte, kannte sich.
    Wieder erschien das knicksende Mädchen, füllte die Tassen mit würzig duftendem Kaffee – nur Mrs.   Bellham und Madame Baston tranken Salbeitee   –, bekam den Auftrag, den Kachelofen nachzulegen, und verschwand geräuschlos. Daß der Ofen schon jetzt, in der Mitte eines milden Oktobers, geheizt wurde, zeugte von erheblichem Wohlleben.
    In der nächsten Stunde erfuhr Augusta genau, warum für diese Leute und, wie sie sehr wohl wußte, für viele anderein der Stadt der Kampf gegen das Theater Pflicht der Rechtgläubigen war.
    Es gehe nicht an, begann der Prediger, daß die Aufgabe der Kirche, den Menschen in allen Lebenslagen den rechten Weg zu weisen, angezweifelt werde. Nur die Kirche sei dazu in der Lage, nur ihre Männer hätten die moralische Kraft und das Vermögen, dies zu tun. Und gerade in diesen Zeiten, da die Verführung schon bis in die Pastorenschaft vorgedrungen sei, gelte es, besonders entschlossen zu sein.
    Bei seinem letzten Satz rutschte Madame Baston auf die vordere Kante ihres Stuhles, beugte sich weit vor und verlangte zu wissen, ob es stimme, daß einer der Pastoren aus Bergedorf einige Stücke geschrieben habe, die zur anonymen Aufführung an die Hamburger Bühne gelangt seien.
    Mrs.   Bellham nickte ernst. «Das habe ich auch gehört. Aber ich kann es nicht glauben. Schließlich muß jeder Mann Gottes, der dem geistlichen Ministerium dieser Stadt dient, schriftlich geloben, Theater und Oper nie zu betreten. Wie kann einer da wagen, gar Stücke zu schreiben und öffentlich aufführen zu lassen?»
    «Ich befürchte», verriet der junge Pastor mit gesenkter Stimme und eisern vor der Brust gefalteten Händen, «daß es dennoch wahr ist, auch wenn darüber noch nicht gesprochen werden darf. Wir leben in verderbten Zeiten, da nimmt es nicht wunder, wenn dem Theater, das doch mit seinem Pomp, seinen unschicklichen Gesten und der Reizung
aller
Sinne der Inbegriff des Unsittlichen ist, zugejubelt wird. Zu-ge-ju-belt!» wiederholte er, was bewies, daß er das Theater tatsächlich, so wie auch er es bei seinem Amtsantritt unterschrieben hatte, nie betrat.
    Wie es um den Jubel tatsächlich stand, wußte Augustabesser als er. Ihr vorsichtiger

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