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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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dem Hamburger Berg hießen es gar nicht gut, daß eine fremde Komödiantin mit auf so ungehörige Weise gebrochenem Genick nun auf ihrem kleinen Friedhof ruhte. Aber daß sie die respektabelste Beerdigung bekam, die ihre kleine Kirche je erlebt hatte, versöhnte die meisten.
    Die Hamburger Bürger hinter ihren Wällen, die Leichenzüge stets mit unerhörtem Pomp veranstalteten und sonst kaum eine Beerdigung versäumten, fanden es allerdings wirklich ein wenig zu tolerant – um es mit dem gebotenen Respekt für eine bedeutende Familie auszudrücken   –, daß die Herrmannsschen Damen mit dem jüngeren Sohn in ihrer Kutsche dem Trauerwagen folgten und auch noch alle drei Choräle mitsangen.
    SAMSTAG, DEN 10.   OKTOBER, NACHMITTAGS
    Lukas Blank wurde auf der Beerdigung nicht gesehen. Er stand zu dieser Stunde, wie es seine Pflicht war, an seinem Drucktisch in Schwarzbachs Kattundruckerei undmachte aus wochenlang gebleichtem, weichem Kattun kostbar gemusterte Bahnen voll üppiger schwarzumrandeter Blüten in dunklem Ziegelrot und der Farbe heller Pflaumen. Die erste Beize für das Schwarz und die zweite für das Ziegelrot waren schon als kaum sichtbarer gelblicher Schimmer getrocknet. Nun setzte er mit einem anderen Druckstock die ergänzenden Musterteile mit der letzten Beize für die Pflaumenfarbe dazu, eine Arbeit, die eine absolut ruhige Hand und hohe Konzentration erforderte.
    Sein Streichjunge, sonst gerne ein echtes Plappermaul, sah ihm genauso konzentriert und schweigend zu, immer bereit, mit der großen Bürste aus dem Bottich zu seinen Füßen neue Beize in einem breiten, am Boden mit einem festen Tuch bespannten Kasten auszustreichen, auf den Lukas den Druckstock preßte und so mit neuer Beize versah. Es war heiß in der Druckerei, die Kachelöfen waren voller Glut, damit die Kattunstreifen, die an Stangen an der Decke gleich neben den Tischen aufgehängt waren, schnell trockneten. Danach wartete auf die Tuchbahnen ein Bad in einem großen Kessel voll heißer Kuhmistbrühe, bis sich die krustige Schicht von Gummi arabicum löste, das der Beize beigemischt wurde, um sie zäh genug zum akkuraten Drucken zu machen. Und wieder wurden die Tuchbahnen im fließenden Wasser der Alster gespült, geklopft und wieder gespült, bis alle Reste von Kuhmist und Verdickungsmittel verschwunden waren, bevor die erneut getrockneten Bahnen in die Kessel mit dem lauwarmen Krappbad gelegt wurden. Das wurde langsam erhitzt, und wie durch Zauberhand erschienen die Farben auf dem weißen Grund und wurden Stunde um Stunde immer leuchtender und lebendiger. Schließlich wurde von der besten Kohle nachgelegt, die Krappbrüheschnell zum Kochen gebracht, und endlich waren die Farben so intensiv und unauflöslich mit den Fäden der Baumwolle verbunden, daß weder Sonnenlicht noch die schärfste Seife sie wieder daraus entfernen konnte. So kam auch jeder dilettantische oder schlampige Druck ans Licht. Wer solche Arbeit ablieferte, bescherte seinem Manufakteur große Verluste und stand schnell auf der Straße. Lukas war schon einmal verwarnt worden. Er konnte sich keinen Fehler, keine Unachtsamkeit mehr leisten.
    Er wäre lieber Couleurmacher als Drucker gewesen, aber von der Arbeit im Laboratorium verstand er nichts, und er hatte keine Aussichten auf eine Lehre. Tatsächlich spürte er auch nicht die geringste Lust, noch einmal so mühsam von vorne anzufangen. Er hatte viel bessere Pläne.
    Doch er liebte es, diese wundersame Verwandlung der Stoffe im Krappbad, die sein Tun ja erst sichtbar machte, zu beobachten, zu sehen, wie aus etwas Unscheinbarem etwas Königliches wurde, wenn auf dem farblosen Stoff plötzlich purpurne und violette Blüten in allen Schattierungen wuchsen, kaffeebraune, türkischrote oder schwarze Streifen und Ornamente. Die Zahl der möglichen Farbschattierungen war groß, nur die gelben, blauen und grünen Töne mußten von Schildermädchen genannten Frauen in vorgegebene Muster eingemalt werden.
    Die wahren Kunstwerke allerdings, so fand er, zeigten Menschen, Tiere oder Bauwerke. Besonders hatten ihm zwei große Muster gefallen, die Melk, der beste unter den Formschneidern, geschaffen hatte. Das eine zeigte Bauern bei der Getreideernte, das andere ein tändelndes Paar mit einem Flötenspieler unter einem Baum, umgeben von Kirschen und Blüten. Er war froh, daß bisher niemand aufdie Idee gekommen war, ihm so komplizierte Drucke zu überlassen.
    Seine Hände waren heute ruhig, er konzentrierte sich mehr denn je auf

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