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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Einwand, erwachsene Menschen seien durch den Kirchenbesuch doch gegen solche Verführungen gewappnet, wurde von Madame Baston vehement weggewischt.
    «Niemals», rief sie, «die Neigung zur Sündhaftigkeit ist dem Menschen gemäß. Sie ist seine Natur, vor der er um seines Seelenheiles willen geschützt werden muß. Und diese neuen Theaterleute! Ich bitte Euch, verehrte Madame Kjellerup! Sie geben vor, mit ihrem Tun die Moral der Zuschauer zu festigen, aber was tun sie wirklich? Einige der Stücke werfen tatsächlich moralische Fragen auf, aber wie? Warum? Damit das Publikum darüber nachdenke und selbst entscheide, welche Haltung die richtige sei. Selbst entscheiden! Das kann nicht zum Guten führen. Das ist Aufruhr gegen unsere gute christliche Ordnung, gegen die Obrigkeit.» Und außerdem, so habe man ihr berichtet, gebe es Herren, die ihre Söhne, noch keine zehn Jahre alt, mit in die Logen und sogar ins Parkett nähmen, und es würde sie gar nicht wundern, wenn bald auch die Töchter mit von der Partie wären. Damen seien ja schon immer häufiger in den Logen und – Sodom! – auch auf der Galerie zu sehen.
    Augusta kam das alles sehr bekannt vor, sie erinnerte sich, fast genau die gleichen Worte in einer der Predigten von Pastor Goeze gehört zu haben. Madame Baston mußte sie öfter als einmal gehört haben, um sie so genau wiedergeben zu können.
    «Und nicht zu vergessen», eiferte die schon fort, «der Besuch der Theater schadet nicht nur der Seele, sondern auch dem Handel. Er verführt die Kaufleute, und ganz besonders die jungen, die doch noch sehr viel lernen müssen, dazu, die kostbare Zeit vor der Bühne zu vertändeln, anstatt ihren Geschäften nachzugehen. Sie tragen ihr Gelddorthin, wo es nur Sünde und Müßiggang fördert, anstatt ihre Geschäfte damit zu vergrößern. Eine unerträgliche Verschwendung!»
    Und außerdem sei es hohe Zeit, daß sich endlich der Rat mit diesem Skandal befasse.
    Das, erinnerte sich Augusta diesmal genau, hatte Goeze erst vor zwei Wochen von seiner Kanzel gepredigt.
    Mademoiselle Möllemann, Tochter eines bescheidenen Zuckerhändlers aus der Neustadt, legte noch ausführlich den besonders verderblichen Einfluß des Balletts dar. Nur ihre Schwester, Madame Kornweier, sagte gar nichts. Ein wenig unterschieden sich die Schwestern also doch.
    Madame Baston betonte gleich zweimal, wie verdienstvoll es von Baumeister Moltke gewesen sei, so bereitwillig seine Profession in den Dienst der guten Sache zu stellen.
    «Ein Mann von wirklich guter Gesinnung, aber leider, er hat vergeblich nach morschen Balken, wackeligen Kulissen oder was es sonst im Theater an Gefährlichem gibt, gesucht. So ist auch dies kein Weg, den Rat zu zwingen, das Theater zu schließen. Leider.»
    «Vielleicht», sagte Madame Bauer und hob dabei vorsichtig bittend ihren Zeigefinger, «sollten wir ein wenig zurückhaltender mit unseren Eingaben sein. Wie man hört, ist schon eine gewisse Unlust entstanden, sich mit ihnen zu befassen. Es gebe im Rathaus Wichtigeres zu entscheiden, und   …»
    So ging es noch eine Weile hin und her. Augusta hatte den Eindruck, daß die Damen und der Seelsorger einander ständig bestätigten, was sie alle schon wußten und einig meinten. Sie hatte angenommen, hier würden Pläne geschmiedet, Kabalen debattiert. Aber bis jetzt erschien ihr die ganze Veranstaltung nur als eine einzige eitle und außerordentlich ermüdende Schwätzerei.
    «Und wenn uns noch ein Beweis gefehlt hätte», sagte Madame Baston schließlich mit glänzenden Augen, während sie sich genüßlich schnuppernd von Madame Bauer die Kaffeetasse nachfüllen ließ, «die greuliche Untat am Mittwochabend beweist, welche Abgründe sich dort auftun. Ein Menschenleben wäre nicht verloren, wenn wir früher unser Ziel erreicht hätten. Ein sündiges Leben, das wohl, aber eines, das auf den guten Pfad zurückzuführen unsere Aufgabe gewesen wäre. Nun ist es verloren, und das ist schrecklich. Unermeßlich schrecklich.» Sie gab drei Löffel Zucker in ihre Tasse, rührte energisch um und nahm einen kleinen Schluck. «Köstlich, meine liebe Dorothea, dein Kaffee ist wie immer köstlich.»
    Madame Bauer lächelte geschmeichelt, und Augusta räusperte sich.
    «Ich bin sehr dankbar, daß Ihr die Gefahren und, ich muß nun auch sagen, die Abgründe des weltlichen Theaterspiels so ausführlich aufgezeigt habt. Noch bis vor wenigen Monaten», sie schluckte und tupfte sich mit einem Spitzentüchlein vorsichtig die Lippen,

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