Lorettas letzter Vorhang
auch war sein Weinkeller exzellent sortiert. Doch sein Kampf gegen jede Neuerung, besonders sein stocksteifes Beharren auf der Sündhaftigkeit des Theaters, grenzte an unchristliche Eitelkeitund Altersstarrsinn. Dabei war der berühmte, wortgewaltige Mann mit seinen fünfzig Jahren nur um weniges älter als Claes und um fast vier Jahrzehnte jünger als Telemann, der auch manchen Kampf mit ihm ausgefochten hatte.
Augusta drückte ihre Haube züchtiger auf ihr silbriges Haar und sah an dem Haus hoch, vor dem Brooks sie abgesetzt hatte. Es war das prächtigste auf dieser Seite der Großen Johannisstraße, sechs Fenster breit, fünf Etagen hoch und das Portal üppig mit steinernen Reben geschmückt. Sie kannte Madame Bauer, bei der die Treffen stattfanden, nur flüchtig. Claes machte mit ihrem Mann Geschäfte, beide hatten einige Parten an den gleichen Schiffen. Sie war erstaunt gewesen, daß ausgerechnet sie die Initiatorin dieser Pamphlete sein sollte, aber man sah den Leuten ihre Gedanken eben nicht an.
Sie hatte Blohm gestern gleich mit einem Brief zu Madame Bauer geschickt, in dem sie bat, sich ihr als Gleichgesinnte anschließen zu dürfen, und der Diener war schnell mit der Einladung zurückgekehrt. Immerhin schien es sich nicht um einen Geheimzirkel zu handeln.
Während Augusta noch nach dem einen oder anderen Gedanken suchte, der ihr erlaubte, etwas länger in der frischen, klaren Herbstluft zu bleiben, öffnete sich schon die Tür des Hauses. Ein Mädchen mit tadelloser weißer Haube und Schürze über einem dunkelblauen Kattunkleid knickste und bat, Madame Kjellerup möge bitte eintreten, sie werde im Salon erwartet. Und von dort, dachte Augusta mit Unbehagen, offensichtlich auch beobachtet.
Die durch die hohen Fenster lichtdurchflutete Diele des Bauerschen Hauses stand der stolzen Fassade in nichts nach. Der traditionelle Boden aus schwarzen und weißen Marmorfliesen war makellos und an keiner Stelle ausgetreten, hinter den mächtigen, mit Intarsien in Form bauchiger Blumenkrüge geschmückten Türen des Vierländer Dielenschrankes konnte sich ein Pferd samt Reiter verbergen. Ein sehr großes Pferd. Energisch schritt Augusta hinter dem Mädchen die breite Treppe hinauf und ließ sich über die Galerie zum Salon im ersten Stock führen. Sie hatte recht gehabt, die Fenster gingen alle zur Straße hinaus.
«Meine liiiebe Madame Kjellerup!» Madame Bauer, eine rundliche Dame mit gemütlich roten Wangen, kleiner, runder Nase und leuchtend blauen Augen, eilte ihrem neuen Gast entgegen, ergriff Augustas Hand und hielt sie fest umschlossen. «Welch eine Freude für uns, Euch hier zu begrüßen, gerade Euch, wenn Ihr mir erlaubt, das zu sagen. Euer Neffe und besonders Madame Herrmanns, die neue Madame Herrmanns!» betonte sie, als handele es sich um eine Fälschung oder zumindest um einen schweren Fehlgriff, «gehören ja auch zu den Verirrten, die der sinnliche Flitter der Bühne verführt hat. So wurde mir berichtet, ich selbst kann das natürlich nicht bezeugen, weil ich bei meinem Leben keinen Fuß über jene Schwelle im Hof hinter unserem guten alten Gänsemarkt setzen würde. Und auch Madame Matthew, mit der meine Tochter recht gut bekannt ist, was mir nicht behagt, ich sage: nicht behagt, soll oft in einer Loge zu sehen sein. Ich werde diese Bekanntschaft unterbinden müssen.» Dabei warf sie einer eleganten Dame in strenger blaugrauer Seide mit dunklen Augen und besonders schmal um den Kopf frisiertem schwarzem Haar einen unsicher flatternden Blick zu. «Aber nun haben wir Hoffnung, wieder eine unserer großen Familien zu unseren guten alten Sitten zurückführen zu können.»
Es fiel Augusta überhaupt nicht schwer, so säuerlich zulächeln, wie es ihrer Rolle entsprach. Sie sah sich auch nicht gezwungen, ähnlich salbungsvolle Worte der Begrüßung zurückzugeben, denn Madame Bauer hatte schon begonnen, sie den anderen Damen und dem einzigen anwesenden Mann – eindeutig ein Pastor, wenn Augusta sich nicht sehr irrte, einer der Prediger von St. Katharinen – vorzustellen. Man sei heute nur ein kleiner Kreis, die Herren, sie werde verstehen, hätten natürlich noch in den Kontoren zu tun, Madame Biesing sei gesegneter Hoffnung und nun schon nicht mehr in der Lage, das Haus schicklich zu verlassen. Und Henny, ihre bedauernswerte Tochter, habe gerade heute eine Attacke von schwersten Kopfschmerzen. Leider werde sie in der letzten Zeit häufiger von solchen Anfällen heimgesucht, über die man
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