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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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«bis vor wenigen Monaten habe auch ich hin und wieder das Theater besucht. Um die Frau meines Neffen zu begleiten, eine schwere Familienpflicht, und ich habe es nicht genossen.» Der Seufzer über die faustdicke Lüge, der ihr an dieser Stelle entfuhr, wurde von allen anderen völlig falsch verstanden, und auf den Gesichtern erschien umgehend tiefes Mitgefühl für diese Last, die sie, eine schwache alte Dame, tragen mußte.
    «Aber ich habe schon seit Wochen diese, ähm, Zumutung verweigert, und ich muß sagen, daß mich das sehr erleichtert. Seit mein teurer Freund, unser verehrter Musikdirektor, von uns gegangen ist», sie blickte gen Himmel und zweifelte keine Sekunde daran, daß wenigstens Telemann, falls er als Engel neben ihr saß, großen Spaß an ihrer Komödie hatte, «seit er von uns gegangen ist, sehe ich diese Dinge nicht mehr so leichtfertig. Und die Predigten unseres verehrten Hauptpastors sind doch ein wahres Labsal für die Seele   …»
    Sie hatte den Faden verloren, aber das machte nichts; als sie verstummte, sprang Madame Baston gleich ein.
    «Ja, Madame Kjellerup. Wahrheit und Reinheit siegen schließlich doch, die Wahrheit des Geistes und die Reinheit der Seele.»
    Augusta hatte plötzlich das Gefühl, daß sie, bliebe sie nur noch fünf Minuten länger, die goldbemalte Zuckerdose greifen und wenn auch nicht an Madame Baston, so doch an dem Ofen aus schwanenweißen Kacheln zerschmettern würde. Sie brauchte frische Luft, auch würde Brooks längst mit der Kutsche vor dem Portal warten.
    «Nun, ich bin wirklich erschöpft, ich meine, erfüllt von den Erkenntnissen, die mir heute zuteil wurden, und gewiß wartet der kleine Sohn meines Neffen schon auf mich. Er wartet begierig darauf, daß ich mit ihm noch einmal wiederhole, was er heute vormittag gelernt hat. Er hat noch einige Schwierigkeiten mit den Psalmen. Aber doch noch eine Frage. Gewiß tut es not, energisch zur Tat zu schreiten. Aber, verzeiht mir mein Unverständnis, sind die Pamphlete, die in der Stadt kursieren, ein angemessener Weg? Sie sprechen von Hölle und Satan, das klingt mir, ich bitte wiederum um Verzeihung, aber das klingt mir geradezu papistisch.»
    Sie sah in versteinerte Gesichter und gab auf. Das war eindeutig der falsche Ton gewesen. Madame Baston beeilte sich, noch einmal Zucker in ihre Tasse zu löffeln, Madame Bauer und der Pastor räusperten sich im Duett, und die Schwestern preßten die Lippen zusammen. Wer indieser Runde katholische Gesinnung unterstellte, wurde ganz gewiß kein zweites Mal empfangen.
    «Diese Pamphlete, wie Ihr sie nennt, Madame Kjellerup», sagte Magdalena Bellham schließlich, «stammen nicht aus unserer Feder. Wir sind mit Euch einer Meinung, daß sie nicht den richtigen Ton treffen. Wir wollen die Menschen überzeugen, sie mit christlicher Liebe auf den rechten Weg zurückführen.» . (Den Eindruck hatte Augusta bisher allerdings nicht gehabt.) «Ich kann Euch versichern, daß diese   … Nachrichten uns nicht freuen. Wir müssen unsere Verbündeten sammeln, um entschlossen zuzuschlagen. Wir müssen uns wehren gegen diese Angriffe auf unsere Lebensweise, auf unsere Kultur. Sie ist hart erkämpft, sie sichert unsere Existenz und muß geschützt werden. Um jeden Preis.»
    Die Stimme, zu Anfang wie gewöhnlich leise und in leicht herablassendem Ton, war mit jedem Satz schärfer gworden. Mrs.   Bellham starrte Augusta an, als habe sie in ihr endlich die unliebsame, pöbelhaft grobe Konkurrenz im geplanten Theaterkrieg entdeckt.
    «Wir sind uns allerdings nicht sicher», fuhr Madame Bauer mit einem kleinen, beunruhigten Blick auf Magdalena Bellham eilig fort, «ob wir jemanden, der solcherart grobe Schmähungen verfaßt, in unseren Reihen dulden wollen. Sie sind recht ungehörig, und auch wenn ihr Inhalt nicht ganz falsch ist, nicht
ganz
falsch, sage ich, so fehlt den Worten doch die Überzeugungskraft und Eleganz, die unser verehrter Pastor Goeze zu wählen weiß. Und nun, zum Abschied, sollten wir alle ein Schlückchen von unserem guten Kirschwein probieren.»
    Dagegen hatte auch Madame Baston nichts einzuwenden, denn Kirschwein, das war allgemein bekannt, war ein verläßliches Mittel zur Stärkung des Herzens.
    SONNABEND, DEN 10.   OKTOBER, ABENDS
    Lukas Blank wurde noch am gleichen Abend arretiert. Die Nachbarn der Blanks, die schon wenig später davon erfuhren, bedauerten außerordentlich, daß die Wedde ihn nicht von zu Hause, direkt vor ihren weit geöffneten Fenstern, abgeführt hatte,

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