Loriot - Biographie
1948 wurde Romi Schlumbom von Vicco nach dem Faschingsfest nach Hause gebracht, mit der U-Bahn, im noch immer kriegsversehrten Hamburg. Beide wussten noch nicht, dass sie ein Leben lang zusammenbleiben sollten. Sie näherten sich einander ganz zeitgemäß an, langsam und schüchtern, durch lange Spaziergänge oder gegenseitige Besuche. Einmal zeichnete Vicco seine Freundin, als sie ihn zu Hause besuchte – auf einem Hocker sitzend, das rechte Bein auf einen anderen Hocker gestützt, versonnen mit einem Stift auf ein Blatt Papier malend oder schreibend. Sie beschlossen bald, ihre fast leeren Haushaltskassen zusammenzulegen, an ein Zusammenwohnen war aber längst nicht zu denken. Sowohl in seiner als auch in ihrer Wohnung war kaum Platz für eine Person. Außerdem schrieb man das Jahr 1948. Wilde Wohngemeinschaften waren noch fern.
Vicco von Bülow lebte seit seinem Umzug nach Hamburg in einem acht Quadratmeter kleinen Zimmerchen zur Untermiete beim Ehepaar Groß, das in denselben Räumlichkeiten auch sein Geschäft betrieb: Einen Damen- und Herren-Frisiersalon. In ungünstiger Lage allerdings, wie Vicco von Bülow launig erklärte, denn es »befanden sich doch kaum einen Steinwurf entfernt Zuchthaus, Nervenheilanstalt und Friedhof, Institute also, von denen kaum Kundschaft zu erwarten war« [56] . Dennoch ging es ihnen besser als vielen anderen. Nur etwa 20 Prozent des Wohnraums in Hamburg war unbeschädigt geblieben. Volker Benninghoff beispielsweise, einer von Vicco von Bülows Kommilitonen an der Landeskunstschule, beschrieb seine Unterkunft als kalt und dem Regen ausgesetzt, der an mehreren Stellen durchs Dach tropfte. In der Kunstschule wurde immerhin geheizt und zudem hatte man für gänzlich wohnungs- und mittellose Studenten eine Notunterkunft im Sockelgeschoss eingerichtet. Dort waren anfangs sogar der Direktor und einige Lehrkräfte untergebracht.
Am 18. Juni 1948 änderte sich das Leben der Deutschen und damit auch das von Vicco von Bülow und Romi Schlumbom mal wieder radikal. Im Radio hörten die beiden an diesem Freitag wie alle Bewohner der Westzonen, dass ab dem darauffolgenden Sonntag eine neue Währung gelte. Und dass an den Ausgabestellen für Lebensmittelmarken an jeden Bürger 40 D-Mark ausgezahlt würden. Die »Deutsche Mark«, das war die neue Währung und der Beginn einer neuen Zeit. Nachdem er ihm schon ganz entgegen seiner Neigungen zum künstlerischen Berufsweg geraten hatte, verblüffte Johann-Albrecht von Bülow seinen Sohn Vicco in diesen Tagen ein weiteres Mal. Von dem Geld kaufte er sich nicht etwa Lebensmittel oder sonst etwas Lebensnotwendiges. »Er kaufte sich einen Zauberkasten und reiste zu mir nach Hamburg, um meine Freundin und mich mit einer magischen Vorstellung zu verblüffen. In meinem Acht-Quadratmeter-Zimmer steigerte sich diese Darbietung dann zwischen guter Absicht und mißratenen Effekten zu einem Desaster von schier wahnsinniger Komik. Die 40 Mark hätten nicht besser angelegt sein können.« [57]
Der Vogel Bülow
Es ist eine Zeichnung, der noch viel von der späteren Kunstfertigkeit und Einzigartigkeit fehlt. Und dennoch ist es ein besonderes, ein nachgerade epochales Werk: Ein Mann sitzt im Schaukelstuhl, der Raum ist karg, ein Fenster hat er nur, so hoch, dass man auch im Stehen kaum hinauslugen könnte. Und vermittels vier Flaschenzügen hat der Mann seine Habseligkeiten unter die Zimmerdecke gehievt. »Hut«, »Mantel«, »Mehl« und »Gäste« steht auf vier Täfelchen, die hinter den Seilen an der Wand befestigt sind.
Es war ein erster Cartoon, ein »gezeichneter Witz«, wie es damals noch hieß. Und weil es nicht das war, was dem Kunststudenten aus adeligem Hause mit ernsten künstlerischen Absichten vorschwebte, signierte er die Skizze mit einem Pseudonym. Denn den Vicco von Bülow möchte er sich wohl für spätere künstlerische Großwerke aufheben. Schließlich war es unter Schülern der Kunstakademie nicht unbedingt üblich, Karikaturen zu zeichnen und in Zeitungen zu veröffentlichen. Ein anderer Name für den seriösen Kunststudenten musste her, eine zweite Existenz.
Das Pseudonym war schnell gefunden. Im Familienwappen der jahrhundertealten Familie von Bülow ist der Pirol verewigt, jener goldgelbe und schwarzflügelige Sperlingsvogel, der im Mecklenburgischen auf gut volkstümlich auch »Vogel Bülow« genannt wird. Französisch heißt der Pirol kurz und elegant: le loriot .
L O R I O T – das stand dann nun in Versalien und nicht verbundenen
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