Lost Place Vienna (German Edition)
Sinne nicht
mehr gibt. Hat Ihnen denn die Karte des Marionettenspielers überhaupt nichts
gesagt? Die Organisationen, von denen Sie glauben, sie hätten Macht, hängen
ihrerseits wiederum an Fäden. Und daran ziehen wir.«
»Und Don Bernardo ist der Strippenzieher?«
»Don Bernardo ist tot. Umgekommen bei einem Verkehrsunfall. Das
wissen Sie doch«, sagte K.
»Und wer zieht an Ihren Fäden?«, fragte Valentina.
»Gott allein«, sagte Deutsch.
»Oder der Teufel«, sagte K. »Aber ist das nicht dasselbe?«
»Es reicht«, sagte Deutsch. »Die Zeit ist abgelaufen. Und wenn wir
nicht bald fündig werden, sind auch wir nur noch Figuren der Geschichte.«
Deutsch richtete die Beretta auf Valentina und zielte auf ihre Stirn.
»Hier dürfen wir ein Loch riskieren. Wir stellen ihn ja nicht aus.«
Valentina schloss die Augen.
»Sie können sich noch immer entscheiden. Wenn Sie jetzt Ja sagen,
gehören Sie zu uns und können eine neue Epoche einläuten«, sagte Deutsch.
»Aber Sie dürfen nie mehr nach Don Bernardo fragen.«
Hinter Valentinas geschlossenen Lidern begann ein wildes Lichtspiel
zu flackern: Don Bernardo, wie er sie alles lehrte, wovon sie heute noch
zehrte. Nonno Elio, den sie kaltblütig getötet hatten. Die drei Frauen, die es
nicht geschafft hatten, so weit zu kommen wie sie, und die ein krudes Hirn
dafür benutzt hatte, sie selbst auf einen Höllenritt zu schicken. Zirner, dem
sie vertraut hatte, Amre, Stefan und Nicola, die Opfer des Spiels wurden. Und
Adler, der einzige Mensch, zu dem sie sich in letzter Zeit ein Gefühl von Liebe
eingestanden hatte.
»Nein!«, schrie sie laut und lang.
Ein Schuss krachte.
Sie spürte nichts.
Ein weiterer Schuss.
Sie blieb noch immer stehen.
Langsam öffnete sie die Augen und sah Deutsch und K. vor sich
liegen. Hinter ihnen stand der Mann mit dem eleganten Schnäuzer. Ihr
Schutzengel. Er sah mitgenommen aus, hielt sich unsicher auf den Beinen, als er
über den toten Parizek stieg, aber er fiel nicht. Er setzte sich auf die Erde
zwischen die Kerzen und blickte zu Valentina auf. Dann warf er ihr die Waffe
zu. Sie fing den Revolver auf.
»Mach mir ein Ende«, sagte er. »Es ist sowieso aus. Ich habe alles
gehört. Alles nur Schein. Alles hohl. Die Mafia, die Familie, nur ein Haufen Disneyland.
Ausgedacht, um frierenden Seelen ein Zuhause vorzugaukeln. Nur Kulisse.«
Valentina blieb reglos stehen. Der Schutzengel verzog das Gesicht zu
einem müden Lächeln.
»Es gab nie einen Sinn in meinem Leben. Nur wer ohne Sinn lebt, ist
anfällig für die leeren Versprechungen der Mafia. Sie gaukeln dir vor, dass du
zu jemandem gehörst. Dabei bist du nur Leibeigener. Schieß endlich, mehr habe
ich dir nicht zu sagen.«
»Warum erfüllst du nicht deinen Auftrag?«, fragte Valentina.
»Ich habe ihn erfüllt. Ich habe dich beschützt.«
»Stehe ich denn nicht auf deiner Liste?«
»Die Liste ist nur Papier. Beliebig. Und da meine Auftraggeber tot
sind, habe ich die Freiheit, mich selbst ganz nach oben auf die Liste zu
setzen. Aber ich kann es nicht selbst. Ich bin kein Samurai, sondern ein
schmieriger Killer. Die Ehre, die ich mir angedichtet habe, ist leeres
Geschwätz. Es gibt keine Ehre für Menschen meiner Sorte, aber ich will sie mir
trotzdem erschleichen. Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich erledigst.«
»Du weißt, dass ich es nicht tun werde, deswegen ist es leicht, es
von mir zu fordern. Du kennst mich, hast mich beobachtet und beschützt. Bist du
der Puppenspieler? Geht das Spiel noch weiter? Ist es die Puppe in der Puppe in
der Puppe?«
Der Schutzengel lachte. »Ich der Puppenspieler? Schau mich an!
Siehst du nicht, dass auch ich an einem Faden hänge? Es sind aber keine Fäden,
die mir die Gelenke in Bewegung setzen, sondern es ist der Strick um den Hals,
mit dem ich bereits geboren wurde.«
Er zeigte mit dem Finger auf die Maske. »Da liegt er. Da liegt Il Cervello.
Aber selbst wenn du ihm die Maske abnimmst, wirst du nicht wissen, wer er war.
Sein Körper ist nur Hülle. Sein Hirn und seine Strategien werden in anderen
Köpfen weiterwabern und alles fressen, was sich ihnen in den Weg stellt.«
Valentina beugte sich wieder zu dem Maskierten hinunter. Jetzt
wollte sie sein Gesicht sehen. Sie wollte dem anonymen Hirn ein Antlitz geben.
Nur so war für sie die Odyssee fassbar.
Sie hob mit der linken Hand das Leder an. Die Larve löste sich vom
Gesicht. Doch kaum hatte sie sich einen halben Zentimeter bewegt, da packte
Valentina eine Hand am Knöchel,
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