Lost Place Vienna (German Edition)
war, während sie doch alles tun
musste, wie er es geplant hatte. Ein Mann, in den sie sich verliebt hatte.
Einer, der mehr gewesen wäre als nur ein One-Night-Stand. Einer, um den sie
getrauert hatte, weil sie glaubte, er habe ihretwegen sterben müssen. Einer,
der jetzt tot neben ihr lag, weil sie ihn getötet hatte.
Er war ihr vors Fahrrad gelaufen, er hatte sie in der
Thalia-Buchhandlung erwartet, und er hatte sie erst auf das Geocaching
gebracht. Das Outdoorspiel für die ganze Familie, das für sie zum Psychotrip,
zur Reise ins eigene Ich geworden war.
Sie lag noch immer neben ihm und verlor sich im Flackern des
Kerzenlichts. Sie würde warten, bis alle Kerzen heruntergebrannt waren. Sie
sehnte sich nach Dunkelheit. Wozu brauchte es Licht, wenn es doch immer nur
Schatten waren, die man sah? Die Urbilder, gab es sie denn überhaupt? Waren
denn Schatten tatsächlich nur Anhängsel eines festen Körpers? Konnten sie nicht
auch losgelöst davon existieren?
Die Dunkelheit würde kommen, und mit ihr würden die Schatten im
Nichts verschwinden. Das ewige Licht gab es nicht.
Eine Hand berührte sie an der Schulter. Die Hand war blutig.
Valentina schrak auf. Es war ihr Schutzengel. Er lebte.
»Sieht schlimm aus. Du musst ins Krankenhaus«, sagte sie leise.
»Besser wäre ein Arzt, der keine Fragen stellt.«
Valentina verstand. Was wusste sie von ihm? Auch er würde eine
Geschichte haben. Sie wollte nicht wissen, welche. Aber er war ihr Schutzengel.
Sie waren sich begegnet und hatten einander geholfen in einem Spiel, dessen
Regeln sie beide lange nicht begriffen hatten. Sie hatten beide gewusst, dass
es ein dreckiges Spiel war, aber dass es so tief in den Sumpf der eigenen
Abgründe führen sollte, davon hatten sie nichts geahnt.
ELF
Valentina hatte es hinter sich. Sie hatte die
Pressekonferenz durchgestanden. Jetzt musste sie nur noch den kleinen Empfang
überstehen, den man anberaumt hatte, damit sich die Sieger den Fotografen
zeigen konnten. Karrieristen, Politiker und Lobbyisten grinsten um die Wette.
Wo Erfolge gefeiert wurden, waren sie stets zugegen. Valentina würde so schnell
wie möglich von hier verschwinden. Sie wollte Nicola im Krankenhaus besuchen.
Und anschließend Burak seine Computer zurückbringen. Vielleicht auch etwas
mehr. Wenn keine Blondine bei ihm wäre.
Erst hatte sie sich dafür geschämt, dass sie nicht die Wahrheit in
die Mikrofone gesagt hatte. Aber wer würde ihr die schon glauben? Sie würde nur
einmal mehr ihren Kopf auf den Hackklotz legen. Sie fuhr besser damit, mehr zu
wissen, als preiszugeben. Irgendwo hatte sie auch diesen Rat in einer der
Sentenzen Balthasar Graciáns gelesen. Hatte sie Don Bernardo am Ende doch schon
so weit programmiert, dass sie eines Tage aufwachen und für die dunkle Sache
marschieren würde?
Bauer klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, zwei Gläser Sekt in
der Hand.
»Das haben Sie hervorragend gemacht, Valentina. Ich darf Sie doch
Valentina nennen?« Er reichte ihr ein Glas und stieß mit seinem gegen ihres.
»Schade um Parizek. Er war ein guter Polizist. Aber zum Glück sind Sie uns
erhalten geblieben. Sie haben eine große Zukunft vor sich. Kompliment.«
Valentina lächelte gekonnt. Sie war noch in der Rolle, die sie den
ganzen Tag zu spielen gehabt hatte: die hübsche und smarte Inspektorin der
Bundespolizei, die als Undercoveragentin und scheinbar verdächtige Mörderin den
Serienmord eines Psychopathen aufgeklärt hatte. Martin Adler hatte tagsüber als
Professor für Psychologie an der Uni Wien gelehrt und sein Geocaching-Projekt
dazu benutzt, Frauen, die in das Profil seiner Begierde passten, so zu ködern,
dass der Schatz, den sie am Ende fanden, ihren Tod bedeutete. Parizek wurde als
Held geehrt, der auf der Jagd nach dem Mörder von diesem erschossen worden war.
Von der sizilianischen Mafia oder gar einer dunklen Organisation, die weit über
der Camorra agierte, hatte sie kein Wort verloren. Sie hatte ohnehin keinerlei
Beweise. Deutsch und Herr K. waren tot. Ihre richtigen Namen lauteten
Moser und Bernhard. Jedenfalls hatten das die Kollegen ermittelt. Über Burak
würde sie vielleicht anderes erfahren. Aber sie wollte es dabei belassen. Auch
über ihren Schutzengel hatte sie kein Wort verloren. Der war verschwunden, wie
er gekommen war. Vielleicht war er aber auch in ihrer Nähe. Sie würde ihn
sicherlich auch weiterhin brauchen können.
»Die Medien reißen sich um Sie. Wir müssen sehen, wie wir daraus
Kapital schlagen können.
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