Lost Place Vienna (German Edition)
Kaugummi aggressiv mit den Backenzähnen.
»Entschuldigen Sie, ich bin Polizist. Da bleibt einem manchmal nur noch der
Zynismus.«
»Ich bin Psychologe. Da darf man sich noch entscheiden.«
Beide lachten. Parizek beruhigte sein Lachen durch konsequentes
Kauen und fragte dann: »Haben Sie hier einen Verwandten?«
»Nein, eine Patientin. Selbstmordversuch.«
»Etwa die kleine Blonde?«
»Nicola Simon, ja.«
»Interessant. Ihretwegen bin ich auch hier. Ist sie schon
vernehmungsfähig? Was meinen Sie?«
»Das kann ich nicht sagen, ich bin kein Mediziner. Aber ich glaube
nicht, dass sie schon wach ist. Und wenn, dann ist sie sicherlich nicht sehr
stabil. Da wären Fragen von der Polizei bestimmt nicht die beste Medizin.«
Parizeks joviale Haltung gegenüber dem unbekannten Kaugummispender
schwand. Der Stutzer im edlen Zwirn entpuppte sich als Schlaumeier. Die konnte
er überhaupt nicht leiden. Er drückte den Kaugummi mit der Zunge nach vorne und
versenkte ihn in dem Alupapier. Dann warf er das kleine Bällchen in Richtung
Papierkorb, der etwa drei Meter von ihm auf der anderen Seite des Flurs stand.
Es verfehlte den Korb nur knapp. Parizek zuckte gelassen mit den Schultern und
blickte zu dem neunmalklugen Psychiater hinüber.
»Den Rebound zu versenken ist das Entscheidende. Erste Würfe
entscheiden keine Spiele. Es ist immer der zweite Ball.«
Der Psychiater lächelte freundlich.
»Wenn wir auf Frau Simon warten müssen, dann kann ich ja schon mal
mit Ihnen anfangen. So sparen wir Zeit und lernen uns kennen. Wie heißen Sie?«
»Adler. Martin Adler.«
* * *
Martin Adler, Jahrgang 1968, geboren und
aufgewachsen in Berlin. Vater deutscher Polizist, Mutter Juristin aus Rom.
Adler studiert erst Rechtswissenschaften, dann romanische Sprachen und
Psychologie. Er arbeitet als psychologischer Gutachter für die Kriminalpolizei
in Berlin. 1990 Einsatz als verdeckter Ermittler in den neuen Bundesländern, um
dort das Ausbreiten der Mafia zu verhindern. Sie fürchtet den Einzug der Russen
über Ostdeutschland. Adler soll die Kontakte herstellen. Allein durch ihn
fliegen fünf Paten zwischen 1990 und 1995 auf, und der Vormarsch in den Osten
wird verschleppt. 1996 wird Adler abgezogen und taucht für vier Jahre in
Bologna unter. Dort assistiert er an der Universität und widmet sich
psychologischen Studien. Erst im Jahr 2000 wird er von der Polizei wieder
aktiviert, diesmal jedoch nicht von den Deutschen, sondern von den Italienern.
Erneut arbeitet er gegen das organisierte Verbrechen, erneut erfolgreich. Es
gelingt ihm, bis in die oberen Spitzen der Mafia intime Kontakte zu knüpfen.
Mit Provenzanos Verhaftung 2006 hat es jedoch nicht
nur neue Informationen für die Polizei gegeben, sondern auch für die Mafia. So
ist es von unschätzbarem Wert, dass die ehrenwerte Familie weiß, wer in ihren
Reihen als Verräter operierte. Wenn Provenzano der Pate der Paten war, so ist
Adler der Verräter der Verräter. Er steht ganz oben auf der Liste. Wenn er
bislang nicht eliminiert wurde, so liegt es nur daran, dass Il Cervello
einen geeigneten Augenblick sucht, um ihn lebendig zu schnappen und ihn
auszuquetschen. Was Adler über die Mafia weiß, das weiß er auch über die
Gegenseite. Sein Wissen ist unbezahlbar. Dass er sich in Fleischhackers Nähe
aufhält, ist kein Zufall. Jeden seiner Schritte beobachten. Schützen, bis
andere Befehle kommen.
Alberto hatte den langen Text bereits fünfmal gelesen und konnte
es noch immer nicht glauben, dass er dieses Dreckschwein nun auch schützen
sollte. Wie sollte er das machen? Er musste doch an Valentina dranbleiben. Aber
Il Cervello würde sich schon etwas dabei gedacht haben. Vermutlich glaubte
er, dass sich Adler bald dichter an Valentina ranmachen würde, sodass sie
sowieso nur noch als Paar agieren würden.
Der Gedanke verschlechterte Albertos Laune noch mehr. Er mochte
nicht daran denken, dass seine hübsche Schutzbefohlene mit diesem
Verräterschwein in die Kiste sprang. Aber noch war es nicht so weit, jedenfalls
hatte er dergleichen noch nicht mitbekommen. Und er würde es zu verhindern
wissen: Immerhin hatte er Parizeks Nummer, die er jederzeit wählen konnte, um
ihnen Dampf zu machen. Alberto lachte bei dem Gedanken, den immergeilen Bullen
als Liebestöter einzusetzen. Das Leben war eine Clownsnummer, da durfte man
ruhig mal mit Sahnetorten werfen.
Der Vergleich mit dem Zirkus erinnerte Alberto an die Theaterkarten,
die er der kleinen Blonden in die Tasche gesteckt
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