Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
verrückt halten, wenn Sie erzählen, eine Frau habe Sie entführt. Falls Sie sich überhaupt trauen, die Schmach einzugestehen.« Sie legte den Kopf leicht schief und sah ihn keck an.
»Frauen besitzen nicht die Fähigkeit, einen Gedankengang länger zu verfolgen, um einen Plan wie diesen in die Tat umzusetzen.«
»Da mögen Sie recht haben«, erwiderte sie mit einem Lächeln und schien keineswegs beleidigt zu sein. »Deshalb waren ja auch gleich zwei Frauen beteiligt.«
»Miss Victorine«, erinnerte er sich. »Sie sagten, ich sei in Miss Victorines Keller.«
»Ganz recht.«
»Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Miss Victorine Sprott Ihnen bei der Entführung geholfen hat?« Natürlich erinnerte er sich gut an die alte Dame. Als er noch ein Junge war, ließ er sich manchmal von einem Fischer auf die Insel rudern. Dann war er immer zu ihrem stattlichen alten Haus geeilt, und sie hatte ihm Kuchen und Tee angeboten. Sie war mit ihm durch den Garten spaziert und hatte ihm jede einzelne Pflanze erklärt. Alles, was er über Blumen wusste, hatte er von Miss Victorine gelernt - und jetzt hatte sie ihn entführt ? »Was für ein Unsinn!«
»Das ist kein Unsinn. Wenn Sie länger darüber nachdenken, werden Sie feststellen, dass Miss Victorines Handeln gerechtfertigt ist.«
Er straffte die Schultern. »Wovon reden Sie da?«
»Ich bitte Sie, tun Sie nicht so, als wüssten Sie von nichts. Dieses Verhalten wird Ihnen wenig nützen.« Blanke Verachtung schlug ihm aus ihren Worten entgegen.
In diesem Moment, als er ihrer Antwort lauschte, erkannte er etwas, das ihm schon längst hätte auffallen müssen. Mochte sie auch wie eine Bedienstete gekleidet sein, sie sprach wie eine wohlerzogene Dame. Genau das hatte ihn am vergangenen Abend im Pavillon leicht verunsichert -zumindest hoffte er, dass erst eine Nacht vergangen war.
Sie schaute zur Treppe, woher das Rascheln eines Damenrocks und der weiche Klang von Damenschuhen zu hören waren. »Das dürfte Miss Victorine mit Ihrem Frühstück sein. Haben Sie Hunger?«
»Glauben Sie wirklich, ich sitze hier wie ein Narr herum und esse brav meine Mahlzeit?«
»Sie werden immer der Narr bleiben, der Sie sind. Und mich kümmert es nicht, wenn Sie hier verhungern.« Sie trat an die Treppe und nahm das Tablett entgegen, das Miss Victorine die Stufen hinuntergetragen hatte. »Aber nun sollten Sie zumindest ein wenig auf Ihre Gesundheit achten, denn sonst bekommen wir unser Geld nicht.«
Erst als Miss Victorine in den Lichtkreis trat, den die kleine Lampe in den Raum warf, konnte er glauben, dass die alte Dame an diesem niederträchtigen Vorhaben beteiligt war.
Sie sah älter aus, als er sie in Erinnerung hatte. Viel älter. Sorgenfalten hatten sich in ihre Stirn gegraben, und ihr weiches Haar war vollkommen weiß geworden. Die früher rundlichen Wangen wirkten eingefallen, ihre Augen müde. Zudem legte sie offenbar keinen Wert mehr auf ihre Kleidung; er glaubte sogar, das schäbige Kleid wiederzuerkennen, das sie schon getragen hatte, als er sie als Junge besuchte. Mit ihrer drallen Brust und dem steifen Gang erinnerte sie ihn an eine Taube, und er konnte einfach nicht glauben, nein, er wollte nicht wahrhaben ...
Mit dumpfem Knall stellte diese furchtbare junge Frau das Tablett an der anderen Seite des langen Tischs ab. Die andere Tischkante zeigte unmittelbar zur Bettstatt, und daher schob die Frau Jermyn das Tablett zu, bis er es zu fassen bekam. Doch da sie Acht gab, nicht in seine Reichweite zu kommen, konnte er sie leider nicht packen und gehörig durchschütteln.
Gewiss hatte diese Frau so lange auf die gute alte Miss Victorine eingeredet, bis sie bei der Entführung mitmachte. Nein, sie hatte die alte Dame bestimmt erpresst! Miss Victorine war eine echte englische Lady. Um Himmels willen, sie mochte ihn doch, das wusste er!
»Miss Victorine, Sie müssen mich befreien.« Er sprach bewusst langsam und vernehmlich, da er befürchtete, sie könne inzwischen schwerhörig sein.
»Nein, mein Guter, das kann ich nicht. Erst müssen wir unser Geld bekommen. Aber ich freue mich so, Sie wieder einmal bei mir zu haben und mit Ihnen sprechen zu können.« Sie war definitiv nicht schwerhörig, aber offenbar war sie senil geworden, denn sie verschränkte die Hände erwartungsvoll vor der Brust und lächelte ihn freundlich an.
»Was für Geld?«, fragte er.
»Das Lösegeld. Aber keine Sorge. Wir haben Ihrem Onkel Harrison bereits eine Nachricht zukommen lassen, in der wir ihm
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