Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
der Frage aus dem Weg - und so liegt die Antwort auf der Hand. Sie mögen Frauen nicht.«
»Ein Mann, der sich in Gesellschaft von Frauen begibt, ist jemand, der sich Qualen aussetzt.«
»Qualen?« Mit dieser distanzierten Feststellung wusste sie nichts anzufangen.
»Männer und Frauen sind verschieden. Frauen sind sorglose, fröhliche und schöne Geschöpfe, die dazu erschaffen sind, das Herz eines Mannes zu brechen. In der Welt des Mannes ist der Himmel blau, und ein Schwur gilt ewig. In der Welt der Frau ...« Er schüttelte den Kopf und verzog gequält das Gesicht. »Ich hatte nie die Gelegenheit, einen Einblick in die Welt einer Frau zu bekommen, daher weiß ich nicht, welche Farbe der Himmel hat. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass der Schwur einer Frau nicht ewig gilt.«
»Das verstehe ich nicht.« Sie begriff nur, dass sie inzwischen tiefer gehende Dinge besprachen. Persönlichere Belange.
Er beugte sich ein wenig vor. »Als Sie noch klein waren, hat Ihre Mutter Ihnen da gesagt, dass sie Sie liebt?«
»Meine Mutter starb bei meiner Geburt.«
»Welch Glück für Sie.« Er lehnte sich wieder in die Kissen zurück.
»Mylord, das ist zynisch«, entgegnete sie entsetzt.
»Nein, glauben Sie mir, das ist die Wahrheit. Ihnen ist nicht bewusst, wie glücklich Sie sich schätzen dürfen. Und das erklärt vermutlich auch, warum Sie so klug, wagemutig und interessant sind - so ganz anders als die anderen Frauen.«
»Ich fühle mich nicht geschmeichelt.«
»Das sollten Sie aber. Ganz gleich, ob mir Ihre Worte nun gefallen oder nicht, aber wenn Sie offen aussprechen, was Sie denken, so weiß ich, dass Sie die Wahrheit sagen. Ich beobachte, wie Sie sich in Gegenwart von Miss Victorine geben, und ich weiß, dass auf Ihre Treue Verlass ist.«
»Mag sein.« Sie wich ein wenig zurück.
Es klang beinahe verrückt, was er da sagte. Er sprach so eindringlich und sah sie so direkt an, dass Amy ein goldenes Leuchten in seinen Augen wahrzunehmen glaubte.
»Meine Mutter nahm mich früher oft auf den Schoß und sagte mir, wie sehr sie mich liebte, wissen Sie? Jeden Abend, wenn sie mich zu Bett brachte, erzählte sie mir eine Geschichte, und jeden Morgen drückte sie mir einen Kuss aufs Haar. Sie sorgte dafür, dass ich mich glücklich, beschützt und sorglos fühlte.«
»Das muss eine liebevolle Mutter gewesen sein.« Sein Tonfall schien indes etwas anderes zu verheißen.
»Das war sie. Sie war das schönste Geschöpf, das mir je unter die Augen gekommen ist. Sie war die einzige Frau, die mein Vater je geliebt hat. Einige Leute nannten sie eine Fremde, denn sie stammte aus Italien, aus einer verarmten Familie. Für viele hatte mein Vater auf seiner grand tour durch Europa eine vorschnelle Wahl getroffen, aber meine Mutter verzauberte jeden mit ihrem kastanienbraunen Haar, den braunen Augen und ihrem mitreißenden Lachen. Sie war so freundlich, eine so liebevolle Mutter und so sehr in meinen Vater verliebt. Alle anderen Frauen trugen verhaltene Farben, nicht aber meine Mutter. Sie trug leuchtende Rottöne, kleidete sich in farbenfrohe, prachtvolle Stoffe, in denen alle anderen Frauen blass ausgesehen hätten. Sie gab die wundervollsten Feste, und es war an einem dieser Ballabende, als ich zufällig hörte, wie einige der älteren Damen hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Sie sagten, der Wallach, den sie reite, sei zu groß und zu schnell für sie, und dass sie sich unmäßig zur Schau stelle. Sie meinten, die Wahl ihrer Kleidung lasse auf einen leichtfertigen Geist und unmoralische Neigungen schließen. Damals war ich erst sieben. Ich begriff natürlich nicht, was die Damen meinten, aber der Ton, in dem sie über meine Mutter sprachen, gefiel mir nicht. Daher stürmte ich in den Salon und griff sie an. Einer der alten Schachteln trat ich vors Schienbein.« Northcliff schilderte den Vorfall so lebendig, dass Amy einen Moment meinte, die Bilder vor Augen zu haben. »Als ich meinem Vater dann erzählte, was vorgefallen war, lachte er und küsste mich.«
»Schön für Sie.« Sie mochte die Vorstellung, wie der kindliche Jermyn fieberhaft den Ruf seiner Mutter verteidigte.
»Es war das letzte Mal, dass ich ihn herzhaft lachen hörte«, fügte Northcliff trocken hinzu. »Danach hat er sich mir nie wieder in liebevoller Weise zugewendet, höchstens mit steifen Gesten in der Öffentlichkeit.«
Der sonst so scharfe Schlagabtausch zwischen den beiden hatte sich während dieses Gesprächs in etwas anderes verwandelt. Oder
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