Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
sein.« Vikar Smith tippte die Fingerspitzen der gespreizten Hände zusammen.
Der Geistliche war ein älterer Mann mit einem weißen Haarschopf und buschigen grauen Augenbrauen. Der Vikar wusste, was er wollte, und brachte die Dinge stets auf den Punkt.
Pom war kein gebildeter Mann und wusste nicht, ob er darauf etwas erwidern sollte, aber vielleicht musste es gesagt werden. »Nein«, stimmte er ernst zu. »Das wird er bestimmt nicht sein.«
»Glaubst du, Miss Rosabels Plan geht auf?«, fragte Mertle.
Pom dachte kurz über die Worte seiner Frau nach. »Wüsste nicht, was schief gehen soll.«
»Nun, ich kann das nicht gutheißen.« Mrs. Kitchen hielt sich selbst für die Wortführerin der kleinen Gemeinde und schnaubte nun abschätzig. »Eine Schande ist das, dass du dich auf diese Sache eingelassen hast. Eine Schande, sage ich!«
Bei diesen tadelnden Worten verstummten sämtliche Gespräche in der Dorfschenke.
Pom erkannte die Zweifel, die den einfachen Dorfbewohnern zu schaffen machten, und versuchte, zum Ausdruck zu bringen, warum ein Fischer wie er bei einer solch empörenden Tat mitgewirkt hatte. »Miss Rosabel hat recht.«
»Wobei?«, hakte Vikar Smith nach.
»Lord Northcliff ist uns noch etwas schuldig«, erklärte Pom. »Er ist Miss Victorine etwas schuldig.«
»Warum gehen wir für sie dieses Risiko ein?«, verlangte Mrs. Kitchen schnippisch zu wissen.
Die Hände in die Seiten gestemmt, wandte Mertle sich schwungvoll von Pom ab und kam auf Mrs. Kitchen zu. »Weil sie jedem von uns schon einmal geholfen hat. Und sie lebt schon so lange hier, dass sie sogar den Eltern von manch einem hier geholfen hat. Sie ist eine gute Frau. Ich kenne keine bessere. Verflucht sollen wir sein, wenn wir sie jetzt im Stich lassen.«
Mrs. Kitchen versuchte, Mertles entschlossenem Blick standzuhalten, aber Pom wusste aus Erfahrung, dass niemand seiner Frau gewachsen war, wenn sie in Rage war. Mrs. Kitchen kniff die Lippen zusammen und schaute schließlich verunsichert auf ihre Schuhspitzen.
»Wir tun Seiner Lordschaft einen Gefallen.« Mertle schaute sich Zustimmung heischend in der Schankstube um und lotete die Zweifel aller Anwesenden aus. »Nicht wahr, Pom?«
Aus tiefster Überzeugung antwortete Pom: »Ja, er wird daraus lernen. Er muss erkennen, dass er sich schlecht benommen hat.«
»Er ist ein Lord«, merkte ein Dorfbewohner säuerlich an. »Die Adligen lernen nie etwas dazu.«
»Wir müssen ihm eine Chance geben.« Pom hatte schon jahrelang nicht mehr so viel geredet wie jetzt. Aber irgendwie sah er es als seine Pflicht an, den Mund aufzumachen, denn er erkannte, wie wichtig die Angelegenheit war. »Wenn wir nichts tun, wird er so weitermachen, bis er so viel gesündigt hat, dass seine schwarze Seele ihn in die Hölle hinabzieht.«
3. Kapitel
L ord Northcliffs Mantel unter dem Arm, stieg Amy die Stufen in den Keller hinunter.
Dieser lange Mantel stand sinnbildlich für all das, was es an dem Marquess auszusetzen gab. Das von einem Londoner Schneider angefertigte Kleidungsstück verkörperte die Eitelkeit schlechthin. Mit dem Geld für diese feine schwarze Wolle hätte man die Dorfbewohner ein Jahr lang ernähren können. Der Mantel war lang und schwer, wies eine Menge Verzierungen an den Schulterpartien auf und ... Amy vergrub den Kopf in den Falten des Mantels und atmete den Geruch des wollenen Stoffs ein. Lord Northcliffs Mantel roch nach Leder und Tabak, und augenblicklich wähnte sie sich in dem Palast in Beaumontagne und sah, wie sie als Kind bei ihrem Vater auf dem Schoß gesessen hatte. Sie hatte stets in den Tiefen seiner Jackentaschen nach Süßigkeiten gesucht und sich geborgen, geliebt und umsorgt gefühlt.
Unwillkürlich wärmte ein Gefühl von Zuneigung ihr Herz - doch diese Zuneigung empfand 'sie nicht für Lord Northcliff, wie sie sich versicherte. Nein, mit den Gedanken war sie bei ihrem Vater. Dennoch ... es gefiel ihr überhaupt nicht, dass alles an Lord Northcliff sie an ihre wohl behütete Kindheit erinnerte.
Als Amy den unteren Treppenabsatz erreichte, hielt sie den Mantel auf Armeslänge von sich.
Miss Victorine stand neben der dürftigen Bettstatt, kraulte noch immer Coal und schaute bedrückt auf den reglosen Leib des Marquess. »Er war so ein angenehmer Bursche«, meinte sie.
»Er hat sich eben verändert.« Amy warf den Mantel auf den Schaukelstuhl. Sie konnte das schwere Kleidungsstück gar nicht schnell genug loswerden, das allein durch den berauschenden Duft
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