Lost Vampire - Das Ende der Welt
des Wächters auf seinem Anrufbeantworter vorgefunden, der um seine Anwesenheit bei dem Treffen der 'lokalen Übernatürlichen' bat. James' Worte, nicht seine.
„ Es geht doch nichts über eine dramatische Einleitung“, unterbrach Sam aus einer Ecke des Raums im kratzigen Tonfall die angespannte Stimmung. Doch James ließ sich nicht beirren.
„ Ich bin unzählige mögliche Szenarien durchgegangen und ich sehe wenige Zeitlinien, in denen keine Bedrohung besteht.“
„ Wie wäre es mit etwas Klartext, James?“, meldete sich Ever zu Wort.
George war seit seiner Rückkehr noch nicht dazu gekommen, mit ihr in Ruhe zu reden, doch die Gestaltwandlerin schien aufgewühlt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in seiner Abwesenheit etwas Außergewöhnliches vorgefallen war, doch etwas an ihr war anders. Verwandelt, fiel ihm als treffende Beschreibung ein. Nach dem Treffen würde Zeit dafür sein.
„ Selbstverständlich.“ James nickte, nahm nachdenklich seine Brille ab und begann zu erzählen:
„ Es gibt einige wenige Orte auf der Erde, an welchen starke mystische Kräfte aus dem Erdinnersten zutage treten. Übernatürliche Wesen und sensitive Menschen spüren die besondere Kraft solcher Orte wie Stonehenge, dem Ayers Rock oder dem Kilimandscharo. Auch der Sunset Crater ist so ein Knotenpunkt der Naturgewalten. Ihr alle spürt die rohe Kraft, die aus ihm in die Welt fließt wie eine unverbrauchte Bergquelle.“
Er schwieg für einen Moment, um sich seine Brille wieder aufzusetzen und vielleicht, um der Runde eine Chance zum Sprechen zu geben, doch niemand reagierte darauf. George dachte daran, wie er zum ersten Mal Navajo County durchquert hatte. Der Crater hatte ihn förmlich in seinen Bann gezogen.
„ Ich habe damit gerechnet, dass diese Katastrophe, von der einige zweifelsohne als der Apokalypse, dem Weltuntergang oder Gehenna reden würden, Jahrzehnte in der Zukunft liegt. Es zeigt sich mir in diesen Tagen wieder schmerzlichst die Fehlbarkeit des Wissens und die Unberechenbarkeit der menschlichen Natur. Aufgrund von Ereignissen, die keine meiner Kalkulationen in Betracht gezogen haben, ereignet sich die Katastrophe zwanzig Jahre zu früh.“
„ Inwiefern kann denn ein Weltuntergang zu früh oder zu spät sein?“, fragte Ever in einem Tonfall, der belustigt beabsichtigt war, aber nicht so recht passen wollte. „Gibt es so etwas wie ein apokalyptisches Formular, das eine Menge Papierkrieg und Bürokratie erfordert, bevor es bewilligt wird?“
„ Ich fürchte die Macht, mit der wir es zu tun haben, schert sich leider wenig um diese Art von Begrenzungen“, antwortete James mit einem höflichen Lächeln und fuhr fort: „Vor über tausend Jahren konnte nicht verhindert werden, dass die Dämonin Linestra den Übergang in diese Welt geschafft hat. Skandinavische Druiden hatten eine Verbindung zu ihr hergestellt. Sie wollten mit Linestras Hilfe die Grenzen zur Anderswelt öffnen, um ihrem Stamm mit übernatürlicher Unterstützung Macht über die anderen zu geben – doch stattdessen waren sie nicht mehr als Marionetten der Dämonin. Sie täuschte die leichtgläubigen Menschen und schaffte es beinahe, ein Tor in ihr Reich zu errichten. Einen Höllenschlund, der sich in unsere Realität ergossen und nichts so hinterlassen hätte, wie wir es kennen. Die Wächter konnten die Verbindung zur Anderswelt gerade noch verhindern, doch sie kamen zu spät, um Linestra zu bannen.“
Als James dieses Mal zu einer kurzen Pause ansetzte, um seine Gedanken zu sammeln, machte niemand im Raum eine Bemerkung. George fiel auf, dass Sam von seiner Position am Rande nähergekommen war und dem Wächter mit konzentriertem Blick lauschte.
„ Was ihr an einem Dämon verstehen müsst, ist die Natur seiner Existenz. Ein Dämon ist in unserer Welt nur ein Konzept, eine Idee. Und eine solche Vorstellung hat keinen Körper, doch ihr kann durch ein Ritual eine materielle Form verschafft werden – sofern ein Körper bereitgestellt wird. Dann erst kann sich der Dämon materialisieren. Deshalb kann ein Dämon als solcher, da er eigentlich körperlos ist, auch nicht vernichtet werden. Man kann nur sein Gefäß, seinen Körper, zerstören und den Dämon bannen. Da es aber damals nicht gelang, Linestra zu bannen, wandelt sie seither unter den Menschen. Was ihr durch das Wirken der Wächter verloren ging, ist lediglich der Kontakt zur Anderswelt.“
Er seufzte und George war sich sicher, noch nie jemanden in seinem ganzen Dasein
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