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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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von langen Überlegungen, von harten Stunden, von im Grunde keine Wahl haben. Tränen. Was hättest du getan? Ich weiß es nicht.
    Kinder gibt es viele in unserem Freundeskreis, behinderte Kinder nicht. Wir sind wie viele – wir haben keinen Kontakt zu Behinderten. Menschen im Rollstuhl, geistig Behinderte sehen wir ab und zu auf der Straße und sehen sie doch nicht. Ich will nicht starren und schau lieber weg. Sollen wir abtreiben?

    Abends klopft es leise an der Tür. Ein Pfleger steckt den Kopf herein. »Darf ich?«
    Stumm nicke ich mit dem Kopf. Ich habe ihn noch nie gesehen. Er ist höchstens 30, blond.
    »Matthias«, stellt er sich vor. »Ich habe gehört, Sie kommen vielleicht nach Duisburg ...«
    »Duisburg?« Ich greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher aus.
    Er zögert. »Ich will nicht vorgreifen ...«
    Ich stemme die Hände neben meinem Bauch in die Matratze und versuche, mich im Bett aufrechter hinzusetzen. Er steht im Türrahmen. »Bitte«, sage ich.
    Er tritt ein und schließt die Tür. »Ich war dort mal auf der Intensivstation, ich habe Kinder wie Ihre Tochter gepflegt. Ich kann Ihnen ein bisschen was erzählen, wenn Sie wollen ...«
    Er bleibt eine halbe Stunde. Von Operationsmethoden erzählt er nichts, nichts von Prognosen. Aber von Inkubationskästen, von Schläuchen, von Beatmungsapparaten. »Sie können sogar stillen«, sagt er.
    Als ob das meine Sorge wäre. Ich sage: »Wir haben die Frühchenstation gesehen ...«
    »Daran gewöhnen Sie sich. Die Schläuche sehen Sie irgendwann nicht mehr.«
    Geht das? Ich versuche mir Lotta vorzustellen, einen Schlauch in der Nase. Sie könnte leben, sagt Matthias.
    Kann ich einem Pfleger im blauen Kittel mehr glauben als einem Arzt im weißen? Denn das ist es von Anfang an: eine Frage des Glaubens. Wird unser Baby leben, sterben, behindert sein? In den nächsten zwei Jahren werden wir immer neue Ärzte bedrängen, ihnen Fragen stellen, vor deren Antwort die meisten lange zögern. Von jedem hören wir eine andere. Sie lesen in Lottas Gehirn wie in einem Kaffeesatz und jeder sieht eine andere Zukunft. Keiner kann uns den Weg weisen. Niemand steht uns bei. Wir sind allein.
    Sollen wir abtreiben?

    Ben kommt mich im Krankenhaus besuchen. Zum ersten Mal schaue ich in den Spiegel im Badezimmer und versuche, die Augenringe mit Deckcreme unsichtbar zu machen. Ben hüpft mir auf dem Gang entgegen und mit einem Mal ist mein Lächeln nicht mehr gezwungen. Ich strecke die Arme aus. Er bleibt einen Meter entfernt stehen und vergräbt seinen Kopf zwischen Harrys Knien.
    »Kommt Lotta jetzt raus?«, fragt er später und klopft auf den Bauch.
    »Nein, noch nicht.«
    »Ene mene mu.« Bens Finger landet auf dem Babybauch.
    Und raus bis du?
    Nackenfaltenmessung, großer Organ-, großer Gehirnultraschall. Wir haben alle Untersuchungen gemacht, die keine Gefahr fürs Baby darstellen. Wir haben per Ultraschall Lottas Nackenfalte ausmessen lassen, um die Wahrscheinlichkeit für das Down-Syndrom zu erfahren, wir haben nach Herzfehlern gesucht, nach Anomalien, nach allem, was von der Norm abweicht. Warum? Was wäre, wenn …? »Mach dich nicht verrückt«, hat Harry gesagt. »Das sehen wir dann. Es wird schon alles gut sein.« Wir haben nie darüber gesprochen. Wir haben die Tests ähnlich gedankenlos gemacht, wie ich kein Sushi esse. Das macht man doch so, oder?
    »Ist Sushi wirklich so gefährlich?«, hat Harry gefragt.
    »Ich weiß es nicht«, habe ich geantwortet. »Da gehen die Meinungen auseinander. Ich müsste es nachlesen. So lange gilt: Schaden kann es nicht, darauf zu verzichten.«
    Wir machen die Tests. Es schadet ja nicht und es ist so beruhigend, die guten Ergebnisse zu hören. Ein bisschen Aberglauben ist auch dabei: Wenn wir gut aufpassen, wenn wir alles richtig machen, dann wird uns nichts passieren.
    »Aber macht so ein Test einen Unterschied?«, hat meine Mutter gefragt. »Ihr kriegt es doch sowieso, oder?«
    »Ich weiß nicht«, habe ich geantwortet.
    »Sie haben großes Glück«, hat der Arzt beim Gehirnultraschall gesagt. »Ihre Tochter wird nicht nur wunderschön, sie wird auch sehr intelligent.«
    »Das hat sie von ihrer Mutter«, hat Harry gesagt und wir drei haben gelacht.
    Zehn Wochen später hören wir »Vena Galeni Malformation«.
    Sollen wir abtreiben?

    Später werde ich erfahren, dass es nicht einfach geworden wäre. Ich werde Reportagen lesen über andere Schwangere, die sich für eine Abtreibung entschieden haben – und das vor einer

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