Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)
Happy End geglaubt, jetzt weiß ich, dass es kein Ende gibt. Es geht immer weiter.
Ich weiß nicht, ob wir einen Integrationshelfer für Lotta bekommen. Auf welche Schule Lotta einmal gehen wird. Wie weit wir dann mit der Inklusion sind. Ich weiß nicht, ob Lotta einmal wird gehen können oder richtig sprechen. Ich nehme eine Stufe nach der anderen.
Ich bleibe stehen und nehme Lotta auf den anderen Arm. Ich schaue Harry und Ben nach, die vorausklettern Richtung Himmel. Ich weiß nicht, ob wir noch ein drittes Kind kriegen werden. Wir werden versuchen, immer genug für Ben da zu sein und füreinander. Ob das reicht?
Neulich haben Harry und ich zehn Minuten darüber diskutiert, ob der Quirl in die Spülmaschine darf.
»Streiten wir gerade?«
»Das heißt, es geht uns wieder gut.«
Ich weiß nicht, ob die letzten drei Jahre im Rückblick harte oder leichte Jahre sein werden. Vielleicht wird es ab jetzt besser, vielleicht wird es erst richtig schlimm, wenn ich Lotta nicht mehr die Treppe hochtragen kann. Ich setze sie auf das Geländer und lehne sie an mich, um meine Arme auszuruhen. Lotta schaut zu mir nach oben und reißt ihre Augen auf.
Ich weiß, dass ich weiter auf Spielplätze gehen werde, auch wenn so mancher komisch guckt. Ich weiß, dass Ben viel von Lotta lernen wird, darüber, was im Leben wichtig ist. Dass man zum Lachen nicht laufen können muss und zum Lieben nicht sehen. Ich weiß, dass ich für Lotta da sein werde – nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will. Weil es mich glücklich macht, wenn ich sie glücklich machen kann. Ich weiß, dass Harry nicht ins Ausland pendeln wird. Er hat das Angebot abgelehnt. Nicht weil er muss. Harry schaut sich um, sieht mich stehen und kommt die Treppe wieder runter. Er nimmt mir Lotta ab und steigt nach oben. Ich hinterher. Ich weiß jetzt, was ich sagen werde, wenn wieder einer guckt und fragt: »Was hat sie denn?« Ben steht oben und schaut Richtung Meer. »Kommt«, ruft er.
Wir klettern aus dem Schatten zu ihm nach oben. »Uns«, werde ich sagen: »Sie hat uns.«
Wir haben die letzte Stufe erreicht.
Nachbemerkung
Um unsere Geschichte zu erzählen, musste ich ein Dilemma lösen: Wie schreibe ich sie offen und ehrlich – ohne uns zu sehr zu entblößen? Ich habe mich für folgenden Weg entschieden: Alle, die beruflich mit uns zu tun haben – seien es Ärzte, Therapeuten oder Lottas Erzieher im Kindergarten – und sich mit vollem Namen in diesem Buch wiederfinden, haben ihre Zitate gegengelesen und autorisiert. Bei Lottas Krankheitsgeschichte habe ich mich an die Fakten gehalten, auch fachlich sollten alle Informationen, sei es zum Thema Behinderung, Epilepsie, Pränataldiagnostik oder Inklusion, korrekt sein.
Wer kein Therapeut, Arzt oder Erzieher ist, dem habe ich eine Schutzhülle verpasst. Lotta und Ben tragen in Wirklichkeit andere Namen, genau wie alle Kinder in diesem Buch. Lotta hat einen Kofi und eine Ida in ihrem Leben und ich finde, sie sollte sie für sich behalten dürfen. Harry ist der Spitzname meines Mannes. Er ist wirklich Journalist, räumt wirklich immer die Spülmaschine ein und ist im wirklichen Leben genauso großartig.
Frau Girschke, Nina, Clara oder auch Melanie gibt es nicht. Sie sind Figuren, inspiriert von den Menschen, die mich jeden Tag umgeben. Um sie zu schaffen, habe ich meine Fantasie spielen lassen, zeitliche und örtliche Gegebenheiten herumgeschoben, wie es mir passte, und neue Spielgruppen erfunden. Ich wollte unsere gemeinsamen Erlebnisse erzählen, ohne die Menschen in meinem Leben zu Figuren in einem Buch zu machen. Denn ich bin sehr glücklich, dass ich sie habe.
Es ist jetzt etwas mehr als drei Jahre her, dass ich mitten in der Nacht hochschwanger auf einem Rollstuhl einen Krankenhausflur entlanggerast bin. Lotta kann seit Kurzem ein neues Wort, es klingt wie »Karamba«. Ben will lieber doch keine zweite Schwester, sondern einen Hund. »Aber keinen behinderten.« An manchen Tagen frage ich mich immer noch: Wie sind wir hierhergekommen?
Das Buch
Das Buch
Lotta, drei Jahre alt, ein Schmoller, ein Schlawiner, blond, zickig, zäh, süß – und schwer behindert. Wie lebt es sich mit einem solchen Kind? Ein ehrlicher, zutiefst berührender Bericht über Familie, Mut, Leiden und Lachen – und die Frage: Was zählt im Leben?
Herbst 2009. Sandra Roth ist im neunten Monat schwanger. Mit Lotta, einem Wunschkind, die Vorfreude der Familie ist groß. Doch bei einer Routineuntersuchung erfährt sie, dass
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