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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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gleich an der Seite Platz zu nehmen, wo sie den Wagen bestiegen, denn sie war nicht so allein, wie sie in der Loge gewesen. Goethe saß neben ihr.
    Sie erschrak nicht. Man erschrickt nicht über dergleichen. Sie rückte nur ein wenig tiefer in ihren Winkel, ein wenig besser bei Seite, blickte auf die leicht flackernd beleuchtete Erscheinung ihres Nachbarn und lauschte.
    Er trug einen weiten Mantel mit aufrecht stehendem Kragen, der rot gefüttert und abgesetzt war, und hielt den Hut im Schoß. Seine schwarzen Augen unter dem Stirngestein, dem jupitergleich angewachsenen Haar, das diesmal ungepudert und fast noch ganz jugendbraun, wenn auch dünnlich, war, blickten groß und mit schalkhaftem Ausdruck zu ihr hinüber.
    »Guten Abend, meine Liebe«, sagte er mit der Stimme, mit der er einst der Braut aus dem Ossian, dem Klopstock vorgelesen. »Da ich mir's abschlagen mußte, heute Abend an Ihrer Seite zu sein, auch in all diesen Tagen unsichtbar geblieben bin, wollt' ich's mir doch nicht nehmen lassen, Sie vom Kunstgenuß heim zu begleiten.«
    {437} »Das ist sehr artig, Excellenz Goethe«, erwiderte sie, »und hauptsächlich dessenthalb freut es mich, weil eine gewisse Harmonie unserer Seelen, wenn davon die Rede sein kann zwischen einem großen Manne und einer kleinen Frau, aus Ihrem Entschlusse spricht und aus der Überraschung, die Sie mir da bereiten. Denn es zeigt mir, daß auch Sie es als unbefriedigend – unbefriedigend bis zur Traurigkeit – empfunden hätten, wenn unser Abschied neulich nach den lehrreichen Besichtigungen hätte der allerletzte sein und nicht wenigstens doch noch ein Wiedersehn sich daran hätte knüpfen sollen, das ich mit wirklicher Bereitwilligkeit als das in Ewigkeit letzte anerkenne, wenn es nur dieser Geschichte einen leidlich versöhnlichen Abschluß geben kann.«
    »Einen Abschnitt«, hörte sie ihn aus seiner Ecke sagen, »einen Abschnitt macht die Trennung. Wiedersehn: ein klein Kapitel, fragmentarisch.«
    »Ich weiß nicht, was du da sagst, Goethe«, entgegnete sie, »und weiß nicht recht, wie ich's höre, aber ich wundere mich nicht, noch darfst du dich wundern, denn ich gebe ein für allemal der kleinen Frau nichts nach, mit der du letzthin Poesie getrieben am glühenden Mainstrom, und von der dein armer Sohn mir erzählte, daß sie ganz einfach in dich und deinen Gesang eingetreten sei und ebenso gut gedichtet habe, wie du. Nun ja, sie ist ein Theaterkind und hat wohl ein beweglich Geblüt. Aber Frau ist Frau, und wir treten alle ein, wenn's sein muß, in den Mann und seinen Gesang … Wiedersehn ein klein Kapitel, fragmentarisch? Aber so fragmentarisch, fandest du selber wohl, sollt' es nicht sein, daß ich mit dem Gefühle völligen Fehlschlags an meinen einsamen Witwensitz sollte zurückkehren.«
    »Hast du die liebe Schwester nicht umarmt«, sagte er, »nach langer Trennungsfrist? Wie magst du da von deiner Reise völligem Fehlschlag sprechen?«
    {438} »Ach, spotte meiner nicht!« entgegnete sie. »Ist's doch an dem, daß ich die Schwester nur zum Vorwand nahm, um eine Lust zu büßen, die mir längst die Ruhe stahl: nach deiner Stadt zu reisen, in deiner Größe dich, worein das Schicksal mein Leben hat verwoben, heimzusuchen und dieser fragmentarischen Geschichte doch einen Abschluß zur Beruhigung für meinen Lebensabend auszufinden. Sag', kam ich dir recht sehr zu unpaß? War es ein ganz erbärmlich dummer Schulmädelstreich?«
    »So wollen wir es denn doch keineswegs nennen«, antwortete er, »ob es schon nicht gut ist, der Neugier, Sentimentalität und Bosheit der Leute Zucker zu geben. Aber von Ihrer Seite her, meine Beste, kann ich die Antriebe zu dieser Reise recht wohl verstehen, und auch mir kam Ihr Erscheinen, in einem tieferen Sinne wenigstens, nicht zu unpaß; vielmehr mußt' ich es gut und geistreich heißen, wenn denn Geist das obere Leitende ist, das in Kunst und Leben die Dinge sinnvoll fügt und uns anhält, in allem Sinnlichen nur die Vermummung höherer Bezüge zu sehen. Zufall gibt es nicht in der Einheit eines irgend bedeutenden Lebens, und nicht umsonst war mir kürzlich erst, im frühen Jahre, unser Büchlein, der Werther, wieder in die Hände gefallen, daß Ihr Freund untertauchen mochte im Frühen-Alten, da er sich durchaus in eine Epoche der Erneuerung und der Wiederkehr eingetreten wußte, über welcher denn freilich nicht unbeträchtlich höhere Möglichkeiten walteten, das Leidenschaftliche in Geist aufgehen zu lassen. Wo aber das

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