Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
öffentlichen Marktplatz. Es werden im ganzen mehrere Hundert sein. Dann ziehen wir zum Palais und fordern ihn auf, das Gebäude zu verlassen.« Er lachte den anderen zu.
»Aber ist denn das nicht gefährlich?« widersprach Emily. »Hat er nicht eine bewaffnete Wache in seinem Palais?«
»Warum überlaßt ihr das nicht der amerikanischen Regierung? Sie kann doch die spanischen Beamten ausweisen!« rief Judith.
»Die amerikanische Regierung hatte sieben Jahre Zeit, das zu tun«, erwiderte David. »Aber die Leute haben sich ja überhaupt nicht um uns gekümmert. Nun nehmen wir die Sache eben selbst in die Hand. Louisiana ist als ein amerikanisches Territorium organisiert, und es wird nicht lange dauern, bis es um Aufnahme in die Vereinigten Staaten bittet. Und wir sind ein Teil von Louisiana. Trotzdem sitzt diese spanische Wache immer noch hier und lebt auf Kosten unserer Steuern. Und die Amerikaner wissen entweder gar nicht, daß die Spanier noch hier sind, oder sie kümmern sich nicht darum.« Er zog ein Dokument aus seiner inneren Rocktasche. »Deshalb haben wir eine Unabhängigkeitserklärung für Westflorida aufgesetzt.«
Judith sank schwach auf eine Treppenstufe nieder. »In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so etwas Widersinniges gehört.«
»Warum soll das widersinnig sein?« fragte Roger Sheramy. »Morgen früh werden wir entweder alle gefangengesetzt sein oder in dem freien Staat Westflorida leben –«
»Dann können wir ja warten, bis die Amerikaner von uns Kenntnis nehmen«, fügte Philip hinzu.
Judith sah Angst in Emilys Gesicht. Auch sie war besorgt, aber sie hatte länger mit Philip und David zusammengelebt als die junge Frau, und sie wußte, daß man die beiden unmöglich von verwegenen Plänen abbringen konnte. Sie seufzte nur und sagte: »Seht nur zu, daß die Sache gut abläuft.« Dann ging sie hinein, um die Vorbereitungen zum Essen zu treffen.
Sie aßen in Eile, und alle sprachen durcheinander, so daß es ihr schwerfiel, etwas Genaueres zu erfahren.
Emily zeigte sich beherrscht und ruhig, als ob sie nicht länger die Gefahren einer Revolution fürchtete. Aber als die Männer bei Anbruch der Dunkelheit wieder fortritten, sah Judith, daß Emilys Tränen auf Sebastians Kopf fielen, während sie ihn küßte und ihm gute Nacht sagte.
»Ich fürchte mich«, rief Emily, als die Amme mit dem Kind das Zimmer verlassen hatte. »Es kann ihnen doch so leicht etwas zustoßen!«
Judith nahm freundlich ihre Hand. »Der spanische Gouverneur hat ja in Wirklichkeit kein Recht mehr, hier zu sein, liebes Kind«, erwiderte sie tröstend.
»Ich verstehe nicht, wie du so ruhig sein kannst.«
»Und ich habe mich darüber gewundert, wie gefaßt du warst.«
»Ach, ich zitterte innerlich, aber ich wollte vor David keine Furcht zeigen.«
»Ich wünschte nur, ich wäre in deinem Alter auch so klug gewesen«, sagte Judith lächelnd.
Aber Emily schien sie nicht zu hören. Sie lachte kurz auf. »David glaubt, ich bin so selbstsicher. Als er fortritt, sagte er noch, es sei gut, eine so furchtlose Frau zu haben – Martha Sheramy wäre beinahe in einem Wasserfall von Tränen untergegangen.«
»Ach, das hätte ich mir denken können. Sie weiß, daß sie hübsch aussieht, wenn sie weint.«
»Ich sehe nicht hübsch aus«, entgegnete Emily kurz, »aber ich fürchte immer noch, daß sie erschossen werden könnten.«
Sie nahm eine Häkelarbeit und setzte sich ans Licht. Nach einer Weile schaute sie auf. »Es ist so lieb von dir, daß du mich nicht immer streichelst. Ich kann es nicht vertragen, wenn man mich immer betut.«
Es wurde spät, aber keine der beiden Frauen schlug vor, zu Bett zu gehen. Emily verließ einmal das Zimmer, um nach dem kleinen Sebastian zu sehen, aber er schlief fest. Der Junge wußte ja noch nichts von der bösen Politik. Judith holte auch ihre Stickerei und setzte sich zu dem Leuchter. Sie war viel beunruhigter über den geplanten Angriff auf das Palais des Gouverneurs, als sie Emily eingestehen wollte. Lange Zeit arbeiteten sie schweigend.
Es war beinahe Mitternacht, als Emily die Arbeit in den Schoß legte und sich plötzlich aufrichtete.
»Was ist denn das?«
»Ich habe nichts gehört.« Judith steckte die Nadel in den Stoff und lauschte.
»Da ist es wieder – es klingt, als ob jemand ruft – aber aus weiter Ferne.« Emily trat ans Fenster.
Judith folgte ihr. Sie sagte sich, daß sie als die Ältere der anderen ein Beispiel an Mut geben müßte. »Aber wenn es zu einem
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