Lovecraft, H. P.
Versuchsobjekts versichert, als es noch am Leben und voller Vitalität gewesen war. Ein Kampf, eine Nadel und ein starkes Alkaloid hatten es in einen ganz frischen Leichnam verwandelt, und das Experiment war für einen kurzen und denkwürdigen Augenblick erfolgreich gewesen; aber West war mit gefühlloser und abgestumpfter Seele und harten Augen, die manchmal mit einer Art schrecklicher und berechnender Abschätzung Menschen mit besonders hoch entwickeltem Gehirn und ausnehmend kräftiger Gestalt anblickten, daraus hervorgegangen. Gegen Schluß hatte ich vor West tatsächlich große Angst, denn er fing an, mich auch so anzusehen. Die Leute schienen diese Blicke nicht wahrzunehmen, aber sie nahmen meine Furcht wahr und benutzten dieselbe nach seinem Verschwinden als Grundlage für einige absurde Verdächtigungen.
In Wirklichkeit hatte West mehr Angst als ich, denn seine furchtbare Beschäftigung hatte ein Leben der Heimlichkeit und eine Angst vor jedem Schatten zur Folge. In der Hauptsache fürchtete er die Polizei; aber manchmal saß seine Nervosität tiefer und war schwerer zu bestimmen, da sie gewiße unbeschreibliche Dinge betraf, denen er ein krankhaftes Leben eingehaucht hatte und aus denen er dieses Leben nicht entfliehen sah. Er beendete seine Experimente meist mit Hilfe des Revolvers, war aber ein paarmal nicht flink genug gewesen. Da war das erste Versuchsobjekt, auf dessen ausgeraubtem Grab sich später Kratzspuren fanden. Ebenfalls war da der Körper des Professors aus Arkham, der Kannibalismus begangen hatte, ehe er eingefangen und in die Irrenhauszelle nach Sefton gebracht wurde, wo er sechzehn Jahre lang gegen die Wände anrannte. Die meistender anderen überlebenden Resultate betrafen Dinge, von denen man nicht gern spricht −
denn in späteren Jahren war Wests wissenschaftlicher Eifer zu einer ungesunden und wunderlichen Manie geworden, und er hatte sein größtes Geschick darauf verwendet, nicht ganze menschliche Leichen, sondern nur einzelne Körperteile zu beleben, oder Teile, die er mit anderer als menschlicher Organmaterie vereinigt hatte. Es war zu der Zeit, als er verschwand, ungeheuer abstoßend geworden, viele dieser Experimente kann man im Druck nicht einmal andeuten. Der große Krieg, in dem wir beide als Militärärzte dienten, hatte diese Seite von Wests Charakter noch verstärkt.
Wenn ich behaupte, daß Wests Furcht vor seinen Versuchsobjekten verschwommen war, denke ich besonders an ihren verwickelten Charakter. Sie stammte teilweise aus dem Wissen um die Existenz dieser namenlosen Ungeheuer, während ein anderer Teil aus dem Vorgefühl entsprang, sie könnten ihm unter gewissen Umständen körperlichen Schaden zufügen. Ihr Verschwinden gab der Situation etwas Grauenhaftes − er kannte nur den Aufenthaltsort eines einzigen unter ihnen, des bemitleidenswerten Wesens im Irrenhaus. Dann war da noch eine eher nebelhafte Furcht − ein unheimliches Gefühl, das aus einem merkwürdigen Experiment resultierte, das stattfand, als er 1915 in der kanadischen Armee diente. West hatte inmitten einer heftigen Schlacht den Körper des Majors Sir Eric Moreland Clapham−Lee, DSO, eines Arztkameraden, der um seine Experimente wußte und sie hätte wiederholen können, wiederbelebt. Der Kopf war entfernt worden, so daß die Möglichkeiten eines quasiintelligenten Lebens im Rumpf untersucht werden konnten. Gerade, als das Gebäude von deutschen Granaten zerstört wurde, hatte sich der Erfolg eingestellt. Der Rumpf hatte sich vom Verstand gesteuert bewegt, und kaum glaublich, wir waren beide mit Widerwillen sicher, daß artikulierte Töne von dem abgeschnittenen Kopf ausgingen, der in einem schattigen Winkel des Labors lag. Die Granate war uns in gewisser Weise gnädig gewesen −aber West konnte sich nie so sicher fühlen, wie er gewünscht hätte, daß wir tatsächlich die einzigen überlebenden waren. Er stellte schaudernd Mutmaßungen über eine mögliche Tätigkeit eines kopflosen Arztes an, der die Möglichkeit hatte, die Toten wiederzubeleben.
Wests letzte Wohnung befand sich in einem ehrwürdigen, sehr eleganten Haus, das einen der ältesten Friedhöfe in Boston überblickt. Er hatte den Ort aus symbolischen und merkwürdig ästhetischen Gründen gewählt, da die meisten Gräber aus der Kolonialzeit stammten und infolgedessen für einen Wissenschaftler, der nur ganz frische Leichen sucht, von wenig Nutzen waren.
Das Labor befand sich in einem Tiefkeller und war von Arbeitern von außerhalb
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