Lovers (German Edition)
ich fühle etwas. Zum ersten Mal seit Langem empfinde ich etwas. Wenn ich ehrlich bin, empfinde ich überhaupt zum ersten Mal etwas.
Ich weiß, was in meiner Vergangenheit schiefgegangen ist, dass ich jetzt so bin. Und ich weiß, dass meine distanzierten Eltern auch keine Hilfe waren. Aber jetzt ist für mich der richtige Zeitpunkt gekommen, um mein Leben in die Hand zu nehmen. Haben Terry und ich nicht schon seit einem Jahr darüber geredet? Ich muss über das, was mit mir passiert ist, hinwegkommen. Die Tragödie überwinden, die mein steriles, kaltes Familienleben für mich darstellt. Und so die echte Tragödie überwinden, die mir passierte, als ich fünfzehn war. Von der meine Eltern bis heute nichts wissen.
Vielleicht brauche ich eine weibliche Hand, um mir zu gestatten, wieder etwas zu empfinden. Ich brauche etwas völlig anderes, um mich dazu zu bringen, die körperlichen und mentalen Fesseln zu sprengen, die ich mir angelegt habe, um mich zu beschützen.
Aber vielleicht habe ich mir diese gegenseitige Anziehung auch nur eingebildet. Vielleicht ist es nur eine alberne, kindische Verliebtheit, die viele Mädchen in der Highschool oder am College erleben.
Bitte lass es nicht nur in meiner Einbildung existieren.
Gott, ich kann nicht glauben, dass ich das überhaupt denke. Dass ich von Audrey berührt werden will. Von ihr geküsst und auf jede für Frauen nur erdenkliche Weise gevögelt werden. Aber lieber Himmel, ich denke das alles. Und ich will es, wie ich es nie vorher gewollt habe. Das macht mir Angst und ist ein so erhebendes Gefühl. Ich will schleunigst zurück ins Bett zu meinem Vibrator.
Stattdessen atme ich tief durch, konzentriere mich auf Vivianes Summen und trockne sorgfältig die Töpfe und Pfannen ab. Ich versuche, ganz normal zu sein.
Aber ich kann die ganze Zeit nur an Audreys gebräunte Haut denken, an ihre Lippen, die so rot sind und reif aussehen. Und an den Schmerz, der zwischen meinen Schenkeln pulsiert wie das Rauschen des Ozeans hinter den Türen. Ein urtümlicher und unnachgiebiger Rhythmus, Teil des Lebens , das auf Erden wandelt und atmet.
3. KAPITEL
Der Strand ist eine geschwungene, blasse Bank aus Sand mit einer Felszunge im Süden und einer zweiten im Norden. Ein paar Häuser liegen hinter den Dünen – kleine Cottages, ein paar riesige Bauten aus Glas, von wo aus man den spektakulären Ausblick bestimmt optimal genießen kann. Die alten Zypressen und Eukalyptusbäume wachsen fast bis an den Strand, und der Sand ist mit Eiskrautbüscheln übersät. Im Moment ist Ebbe, und in dunklen, gewundenen Strängen liegt Seetang an der Wasserlinie und wartet darauf, von der Flut zurück aufs Meer getragen zu werden. Ich kann das Salz in der Luft riechen, es ist würzig, frisch und setzt mich unter Strom. Ich spüre die Kraft der Wellen, wenn sie vor- und zurückschwappen.
Warum fühlt sich auch das für mich erotisch an?
Alles ist erotisch.
Wir sitzen auf bunten, mexikanisch inspirierten Decken und haben die Notizblöcke auf dem Schoß. So diskutieren wir über unsere Bücher und trinken den kalten Eistee, den Viviane in zwei riesigen Thermoskannen mitgebracht hat. Die Sonne scheint warm, aber es ist nicht zu heiß. Auf meinen Schultern fühlt es sich gut an. Sie sind nackt, weil ich ein Tanktop trage. Meine nackten Füße genießen die Wärme genauso. Alle sind entspannt und eifrig. Es ist fast die gleiche Situation wie in einer Online-Konferenz, aber das hier ist besser, denn alles wird deutlicher, als wenn wir nur wie verrückt tippen und versuchen, unsere Gedanken so schnell hervorzubringen, wie unsere Finger über die Tastaturen fliegen. Und es ist einfach wunderbar, endlich auch den Gesichtsausdruck jedes Einzelnen zu sehen, wenn wir über die verschiedenen Ideen reden. Diese Reaktion bekommt man nicht, solange die Person nicht direkt vor einem sitzt. Für mich ist es eine weitere Offenbarung.
Audrey trägt wieder den Bikini und darüber ein hellblaues Leinenhemd in Übergröße. Eine lange, dünne Silberkette ruht über ihrem Brustbein und lässt sie nur noch zerbrechlicher wirken. Sie schafft es, zugleich unverschämt sexy auszusehen und so zu wirken, als habe sie die Sachen wahllos aus dem Schrank gezogen. Manche Leute haben diese Gabe. Ich habe sie nicht. Ich fühle mich schludrig, wenn ich nicht mit Bedacht alles ordentlich aussuche. Vielleicht weil meine Haare so außer Kontrolle sind. Aber heute fühle ich mich so gut, dass es mir fast egal ist.
Wenn nur Audrey
Weitere Kostenlose Bücher