Lovers (German Edition)
und meine Lippen sich taub anfühlen.
“Okay, jetzt ist es wirklich kalt”, ruft Audrey über die Schulter. Sie bewegt sich durchs Wasser Richtung Strand.
Dann sitzt sie im sonnenwarmen Sand und umarmt sich selbst. Sie zittert und sieht mir entgegen, als ich aus dem Wasser steige. Die Wellen zerren an meinen müden Gliedern. Ich breche neben ihr am Strand zusammen. Sie legt den Arm um meine Schulter und zieht mich an sich.
“Jetzt bist du dran, mich aufzuwärmen”, erklärt sie.
Und sofort bin ich wieder voll für sie entflammt. Mein Körper brennt vor Verlangen.
“Audrey …”
“Hmmm?”
Sie wischt die nassen Haare mit der freien Hand aus dem Gesicht, aber ihr Blick bleibt unverwandt auf mich gerichtet. Sie lächelt leicht, nur ein Heben des Mundwinkels. Der Mund ist so schön voll, und das Grübchen blitzt verführerisch auf.
Ich schwöre, ich sehe dasselbe Verlangen in ihren Augen, das ich in meinem Körper kreisen spüre. Ihr Blick wird ganz weich. Sie beugt sich zu mir herüber, und ihr Lächeln wird breiter, als sie ihr Gesicht meinem zuwendet. Und dies ist einer jener magischen Momente, und ich bin mir plötzlich sicher, dass ich mir absolut nichts einbilde. Zwischen uns erwacht eine Hitze, und sie wird mich gleich ein zweites Mal küssen. Aber ich muss dieses Mal etwas sagen. Ich muss sie fragen …
“Audrey …”
“Hey, Mädels!”, ruft Viviane von der Düne. “Leo ist da. Kommt und begrüßt ihn!”
Audrey springt auf. “Wir kommen!”
Ich weiß ohnehin nicht so genau, was ich zu ihr sagen soll.
Verdammt.
Ich schnappe mir die Klamotten, die ich vorhin abgeworfen hatte, und ziehe sie über meine nasse Unterwäsche. Dann stapfen wir zurück zum Haus.
“Du wirst Leo lieben”, erklärt Audrey über die Schulter. “Er ist ein Schatz. Ich freu mich so auf ihn!”
Warum habe ich nur auf einmal das Gefühl, als würde ich für sie nicht mehr existieren? Dass ich einfach in den Hintergrund gerückt bin? Oder bin ich überempfindlich? Wäre ja nicht das erste Mal.
Wir erreichen den Patio und alle anderen sind schon da. Auch Leo Hirogata.
Leo ist ein paar Zoll größer als ich. Schlank, mit goldfarbener Haut und hübschen schwarzen Augen, die so dunkel sind wie seine schwarzen, stacheligen Haare. Er sieht gut aus, wirkt aber etwas arg androgyn. Er trägt ein T-Shirt mit dem Cover eines bekannten, japanischen Comics, das ich kenne, weil mein Freund Calvin es mir mal gezeigt hat. Audrey geht direkt auf ihn zu, wirft die Arme um ihn und küsst ihn einfach auf den Mund. Mehr als nur ein freundschaftlicher Schmatzer. Es dauert ein paar Sekunden, ehe sie von ihm ablässt und ihm ihr strahlendes Lächeln schenkt. In meiner Brust zieht sich alles zusammen.
Sei nicht albern.
Aber ich bin albern. Ich kann anscheinend nicht anders. Es ist so, als sei die gemeinsame Zeit am Strand schon vergessen oder als habe sie für Audrey keine Bedeutung mehr. Vielleicht hat es nur für mich etwas bedeutet, weil ich eine völlig falsche Vorstellung von dem habe, was Menschen tun oder nicht tun. Weil ich so verkorkst bin.
Schließlich haben alle Leo begrüßt, und er sieht mich am Rand der Gruppe stehen.
“Hey, du musst Bettina sein. Endlich lernen wir uns kennen.”
“Ja, hallo Leo. Schön, dich kennenzulernen.”
“Wie geht’s Calvin?”
“Calvin? Ach, dem geht’s gut. Wirklich. Es ist nur … na ja, du weißt schon. Er macht Comics.”
Warum kann ich nicht wie ein ganz normaler Mensch reden?
“Klasse. Zu schade, dass er nicht zu unserer Schreibgruppe gehört. Mann, er würde es hier lieben. So wie ich. Ich bin jedes Mal froh, dem Grau in Seattle zu entfliehen.”
Leo dreht sich zu Audrey um und grinst sie an.
“Wir sind alle froh, dich hier zu haben, Leo”, sagt sie und umfasst seinen Arm mit beiden Händen. Es sieht aus, als wickelt sie sich um ihn. “Wie wär’s, wenn ich dich nach oben ins Haus bringe und dir helfe, dich zurechtzufinden. Möchtest du etwas trinken?”
“Ja, eine Cola oder so wäre klasse.”
Audrey lächelt ihn wieder so überschwänglich an. “Ich bin echt froh, dass du es geschafft hast, Leo. Komm, ich will unbedingt deine neuen Comics sehen.”
Ich sehe, wie Leo rot wird. Die Farbe erblüht fleckig auf seinen Wangen, und seine Augen funkeln. So was macht Audrey mit den Menschen. Ich kann ein Lied davon singen.
“Klar”, sagt er. “Ich zeige dir, woran ich in den letzten Wochen gearbeitet habe.”
Audrey zieht an seinem Arm, und sie verschwinden im Haus.
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