Lovers (German Edition)
Viviane. “Bettina Boothe!”
“Hört, hört”, sagt Kenneth.
Alle heben ihr Glas. Audrey zwinkert mir zu, als ihr Glas gegen meines stößt. Sie lächelt, zeigt Grübchen. Sie hat wunderschöne Zähne, die fast perfekt gerade sind bis auf einen in der unteren Reihe, der ein winziges Stückchen schief steht.
Warum fällt mir nur alles an ihr so detailliert auf?
Ich bin plötzlich wieder schrecklich nervös. Bin mir allzu sehr der Frau bewusst, die neben mir sitzt.
“Bettina, was hast du denn mitgebracht, um während des Sommers daran zu arbeiten?”, fragt Patrice.
“Also, hm. Ich bin bisher zur Hälfte mit einem Buch über ein junges Mädchen fertig, das verwaist ist und in diesen schrecklichen Pflegeheimen aufwächst. Aber ich stecke fest …”
“Ah, der Hänger in der Buchmitte”, bemerkt Patrice und nickt klug. “Das ist immer der richtige Moment, um den Einsatz zu erhöhen. Etwas Tragisches oder Aufregendes muss passieren.”
“Ich jage dann meist irgendwas in die Luft”, bemerkt Kenneth grinsend.
Er hat ein nettes Gesicht. Ich glaube, ich werde ihn mehr mögen als Patrice. Keine Ahnung, wie ich über diese Verlegenheit hinwegkommen soll, die mich bei ihr immer wieder befällt.
“Also, die ganze Geschichte ist ein wenig tragisch”, erzähle ich. “Ich muss wohl … noch mehr darüber nachdenken.”
“Hier ist ein ausgezeichneter Ort, um nachzudenken”, sagt Viviane.
“Ja, das glaube ich.”
Wenn ich nur an etwas anderes denken könnte als an Audreys glatte, von einem Goldhauch überzogene Haut und den Zitrusduft ihrer Haare.
“Was ist mit den anderen?”, fragt Viviane. “Ich arbeite an einem modernen Liebesroman. Ältere Frau, junger Mann, so was. Verbotene Frucht und so. Eine total traurige und verzweifelte Liebe.” Sie seufzt glücklich.
Patrice wedelt mit ihrem Weinglas. “Mein Buch ist ein Kriminalroman mit einer düsteren Wendung.”
“Die haben deine Krimis immer”, wirft Audrey ein. Sie nippt genüsslich an ihrem Wein. Ich kann durch den Glaskelch die rubinrote Flüssigkeit sehen, die sich um ihre Unterlippe sammelt, ehe sie schluckt.
“Stimmt. Aber darum sind wir alle hier, oder?”, sagt Patrice. “Wir verstehen alle, was die dunkle Seite einer Geschichte bedeutet. Die dunkle Seite der Menschen und dieser Welt. Das hat uns alle zusammengebracht.”
“Wer hat die Onlinegruppe eigentlich gegründet?”, frage ich, weil mir auffällt, dass ich das gar nicht weiß.
“Du hast noch nie von Angela gehört?”, fragt Audrey.
“Angela?”
“Angela Moore”, sagt Viviane sehr leise. Sie wirft Patrice einen verstohlenen Blick zu. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.
“Den Namen kenne ich. Sie hat diese heftigen, intensiven Psychothriller geschrieben, nicht wahr? Was ist mit ihr passiert?”
“Sie ist gestorben”, antwortete Patrice mit flacher Stimme. Sie nimmt ihr Glas und nimmt zwei große Schlucke.
“Angela war Patrices Lebensgefährtin”, sagt Viviane leise und beobachtet Patrice. Aber ihre Miene ist so undurchdringlich wie immer.
Nein. Wenn ich genau hinsehe, bemerke ich, wie ihre Kiefernmuskeln zucken.
“Das tut mir leid”, sage ich und habe doch das Gefühl, mein Beileid sei völlig unangemessen.
“So was passiert”, meint Patrice und nimmt sich ein dickes Stück Sauerteigbrot aus dem Korb. Sie nimmt die Flasche mit Olivenöl und gibt einen kleinen See auf ihren Brotteller. Dann fügt sie noch ein paar Tropfen Balsamico hinzu. “Wir sollten nicht rumsitzen wie eine Trauergemeinde. Es ist inzwischen fünf Jahre her, und es geht mir absolut gut.”
“Natürlich tut es das”, sagt Viviane. Ihr Blick wird ganz weich. Einen Moment später greift sie nach einer großen Salatschüssel aus Holz und tut erst Patrice und dann sich etwas auf. “Leo sollte auch bald eintreffen, und Jack ebenfalls.”
“Es wird schön, wenn die Jungs auch hier sind”, sagt Audrey und dreht sich zu mir um. Sie zwinkert mir zu.
“Du magst eben die Jungs”, murmelt Patrice und spießt ein Salatblatt auf.
“Ja, das tue ich, Patrice”, erwidert Audrey eine Spur zu heftig und angespannt. Sie lässt den Wein wieder im Glas kreisen, stürzt ihn dann schnell hinunter.
Warum quälen die beiden einander so? Oder ist das nur ein freundlich gemeinter Streit, wie er in den meisten Familien vorkommt?
Ich kann das nicht beurteilen. Meine Familie hatte sich nie gestritten. Keine Geschwister, es gab nur meine Eltern und mich, und sie waren nie wirklich da.
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