Lucian
herum, Stunde um Stunde, nur zwischendurch lief ich ein paar Mal zur Bar, um zu sehen, ob Lucian inzwischen dort aufgetaucht war. Was nicht der Fall war.
Es wurde spät und immer später. Schicht hatte jetzt ein anderes Mädchen mit kurzen braunen Haaren. Sie war nett und hilfsbereit, aber sie hatte Lucian heute noch nicht gesehen. Und sie glaubte nicht, dass er noch käme. Ich wagte mich sogar so weit vor, nach der Blonden zu fragen, aber die Braunhaarige wusste nicht, wo sie wohnte.
Um kurz vor Mitternacht, es hatte gerade angefangen zu regnen, kam Suse, um mir mit einer Pizza und einer Kanne heißem Tee Gesellschaft zu leisten. Wir verzogen uns in einen Toreingang gegenüber von Lucians Haus. Als ich Suse die Geschichte mit dem Affen erzählte, hörte sie mir mit offenem Mund zu.
»Aber umgekippt ist der Farbtopf nicht«, sagte sie schließlich mit gerunzelter Stirn.
»Nein.« Ich wärmte meine Hände an dem Plastikbecher mit heißem Tee. »Ist er nicht. Und das Kopftuch hab ich auch nicht umgebunden.«
»Dann stimmen Lucians Träume entweder nur zum Teil oder . . .«Suse fischte sich eine Salami von der Pizza. » . . . oder du kannst das, was er geträumt hat, verändern. Wer weiß?« Sie lächelte mich aufmunternd an. »Vielleicht feierst du deinen siebzehnten Geburtstag dann doch nicht mit Sebastian und kannst stattdessen mit Lucian durch den Himmel über Hamburg segeln. Obwohl ich . . .«
Ich schloss die Augen. »Suse«, flüsterte ich. »Er war es, der gefragt hat, wann ich wieder zu ihm komme. Er hat gesagt, dass er wartet. Ich muss ihn sehen. Ich muss mit ihm sprechen.«
Suse nahm mich an beiden Schultern und musterte mich streng. »Du musst jetzt mit mir nach Hause kommen.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Schluss jetzt, Becky. Ab ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Und wenn du hier draußen sitzen bleibst, bist du morgen früh erfroren. Wir haben November!«
Ich wollte protestieren, aber Suse ließ keine Widerrede gelten.
Ihre Mutter war wieder mal aus, ich hörte sie um kurz nach drei die Wohnung betreten, dem lauten Kichern nach war sie nicht allein. Suse schlief, sie schnaufte leise und murmelte Dimos Namen im Traum. Tagsüber wollte sie nicht über ihn sprechen, sie behauptete, das Thema wäre abgehakt. Behutsam strich ich ihr über ihre Locken, bis sie sich beruhigte.
Ozzy Osbourne rotierte in seinem Laufrad, das schnarrende Geräusch klang, als trainierte er für die Weltmeisterschaft im Hamstersprint.
Irgendwann sank ich in einen erschöpften Dämmerzustand, aber um sechs fuhr ich mit Herzrasen in die Höhe. Meine Nerven lagen blank und meine Aufregung hatte sich mittlerweile in helle Panik verwandelt.
Immer wieder dachte ich an Lucians Versprechen, auf mich zu warten – warum hatte er es nicht getan? Warum war er nicht zu Hause, warum hatte ihn niemand in der Bar gesehen? War ihm etwas zugestoßen?
Die Sorge um ihn war genauso schlimm wie meine Angst, dass sein Verschwinden doch etwas mit meinem Auftritt in der Bar zu tun hatte. Konnte er wirklich geglaubt haben, ich wäre absichtlich mit Janne und Spatz dorthin gegangen? Für einen Moment stellte ich mir vor, dass ich ihn nie wiedersehen würde, und da hielt ich es nicht mehr aus. Leise zog ich mich an, legte Suse einen Zettel hin und schlich mich aus dem Haus.
Ich fuhr noch mal zum Holzdamm.
Ich holte mir Kaffee aus einer nahe gelegenen Bäckerei, richtete mich abermals auf meinem Posten ein und wartete, bis es acht Uhr war. Dann ging ich hinüber zum Haus und klingelte wieder.
Nichts.
Ich drückte auf alle anderen Wohnungsklingeln, bis mir wenigstens die Haustür geöffnet wurde. Dann rannte ich nach oben, trommelte wild gegen die Tür, hielt inne, horchte.
Es war ganz still in der Wohnung.
Diesmal setzte ich mich auf die Treppe und wartete.
Um kurz vor zwölf lief ich in die Bar, in der heute ein anderer Typ hinter dem Tresen stand, ein junger Typ mit Igelfrisur.
Er kannte gar keinen Lucian, sorry. Er war nur als Aushilfe eingesprungen, weil seine Kollegin krank geworden war.
»Welche?« Den letzten Rest meiner Würde hatte ich längst über den Haufen geworfen. »Die mit den braunen oder die mit den blonden Haaren?«
Stirnrunzeln, dann ein mitleidiges Lächeln. »Die Blonde. Sidney.«
Suse rief mich auf dem Handy an, als ich gerade auf dem Weg zurück in den Holzdamm war.
»Sebastian hat nach dir gefragt«, sagte sie. »Ich hab gesagt, du hättest Fieber. Spiel jetzt nicht verrückt, Becky. Hörst du?
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