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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Sie die Gedanken des Autors lesen. Ich hatte die Antwort, die Lovell seiner Dalia in den Mund gelegt hat, noch gar nicht vorgelesen. Aber genau das waren ihre Worte. Go to hell, sagte sie zu Steven und im selben Moment zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Die Pferde scheuten, gingen durch und trieben das Paar zum zweiten Mal in ihren gemeinsamen Tod. Ob Steven wie gewünscht in der Hölle landete, überließ der Autor der Fantasie seiner Leser.«
    Tyger zwinkerte mir zu.
    »Hammer«, wisperte Suse. »Woher wusstest du das? Kanntest du die
Geschichte?«
    Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht stand es ja nicht mal im Text, dachte ich. Vielleicht wollte Tyger sich nur über mich lustig machen. Zugetraut hätte ich es ihm.
    Tyger hatte sich wieder an die Klasse gewandt. »Eure Hausaufgabe: Sucht euch einen Partner und schreibt einen kontroversen Dialog über den Satz Man stirbt immer zu früh . Der eine ist pro, der anderekontra. Jeder von euch muss versuchen, den anderen zu überzeugen. Selbstverständlich auf Englisch.«
    Noch einmal sah Tyger zu mir. »Britisches Englisch, wohlgemerkt. Abgabe: nächsten Dienstag. Ich wünsche einen schönen Nachmittag.«
    Ich wartete bei den Fahrradständern auf Suse, die ihr Sportzeug in der Turnhalle vergessen hatte. Es ärgerte mich, dass Sebastian mir zuvorgekommen war und Suse als Partnerin für die Hausaufgaben gewählt hatte. Auf mich hatte sich Aaron gestürzt. Er war die Obernull in Englisch, was bedeutete, dass ich das Ganze quasi allein an der Backe hatte. Auch egal. Bis nächsten Dienstag war noch jede Menge Zeit.
    »Wie war deine Nacht?«, fragte Suse, als sie endlich aus der Turnhalle kam. »Konntest du schlafen? Oder hast du dich heimlich . . .?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Bin zu Hause geblieben. Nach dem, was gestern passiert ist, war es mir zu gefährlich.«
    »Wo du recht hast, hast du recht«, sagte Suse, die mich schon am Morgen gründlich über mein Wochenende ausgefragt hatte. Was meine Nacht mit Lucian betraf, hatte ich mich mit meiner Erzählung zurückgehalten. Ich wollte Suse nicht an ihr Erlebnis mit Dimo erinnern. Unsere Gespräche, Lucians Handflächen und den Zwischenfall in der Bar am Sonntag hatte ich dagegen in allen Einzelheiten geschildert.
    »Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte Suse. »Wie viele Bars
gibt es in Hamburg? Hunderte? Tausende? Und du betrittst zweimal hintereinander ausgerechnet die, in der Lucian arbeitet?« Suse kicherte. »Der Schriftsteller, der eine solche Szene in sein Buch schreiben würde, wäre ein gefundenes Fressen für jeden Literaturkritiker.«
    »Wahrscheinlich«, murmelte ich. »Aber wie hat Lucian das gemacht? Das interessiert mich viel mehr.«
    »Was denn?«
    »Das mit Janne. Dieser Blick, den er aufgesetzt hat, als meine Mutter in seine Richtung schaute. Wenn er sie angesehen hätte, würde ich denken, er hat sie hypnotisiert. Aber er hat demonstrativ weggeschaut. Und sie scheint nichts gemerkt zu haben. Sie hat ihn nicht wahrgenommen . Das gibt’s doch gar nicht, Suse.«
    Meine beste Freundin seufzte. »Na ja, das gilt eigentlich für alles, was du mir von ihm erzählt hast. Das mit John Boy zum Beispiel. Oder das mit seinen Händen. Und du bist wirklich sicher, dass er keine Handlinien hat?«
    »Suse, glaubst du, ich bin blöd? Oder blind? Da war nichts. Absolut nichts.«
    »Alles andere ist aber an seinem Platz, oder?« Suse grinste mich an und ich knuffte sie in die Seite.
    »So weit sind wir nicht gekommen«, sagte ich und musste plötzlich an Sebastian denken. Bei ihm hatte ich die Grenze gesetzt, während ich bei Lucian die Initiative ergriffen hatte.
    Ich seufzte. »Ich hab’s gestern Nacht gegoogelt. Das mit den Handlinien, meine ich. Lucian hat recht. Es gibt unzählige Einträge darüber, was sie über unsere Vergangenheit oder unsere Zukunft aussagen. Angeblich geht die Kunst des Handlesens auf die ersten Hochkulturen der Menschheit zurück. Es gibt Herzlinien, Glückslinien, Schicksalslinien, Lebenslinien – sogar Sex oder Liebeslinien. Über fehlende Handlinien habe ich nur einen einzigen Eintrag gefunden.« Ich verzog das Gesicht. »Womit wir wieder bei den Außerirdischen gelandet wären. Der Eintrag bezog sich auf die Kurzgeschichte eines irischen Science-Fiction-Autors.«
    Suse war ernst geworden. »Becky, hast du dir eigentlich mal überlegt, dass Lucian vielleicht . . . kein . . . Mensch ist?«
    Ich senkte den Kopf.
    »Nein«, flüsterte ich. Aber was ich dachte, war:

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