Lucy kriegt's gebacken
Jeden Tag zu uns zu kommen und eine Quarktasche zu kaufen - deren eine Hälfte er zum Tee isst und die andere am nächsten Tag zum Frühstück - gibt seinem Tag etwas Struktur. Er schlappt weiter, murmelnd und Fragen stellend, als ob er entscheiden müsse, wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuteilen sei. Ich kann das gut verstehen. Mr. D. ist auch einsam.
Als ich schließlich Mr. Ds kargen Einkauf in die Kasse tippe, geht Corinne ans Telefon und wählt eine Nummer. „Chris? Hi, Liebling, wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Bist du okay?“ Sie schweigt einen Moment. „Ich weiß. Ich dachte nur, dass du vielleicht ein wenig müde bist. Mir geht es natürlich gut! Hervorragend. Oh, ihr geht es auch gut! Wunderbar! Sie ist perfekt! Das ist sie. Ich liebe dich auch. So sehr. Du bist ein wundervoller Vater, weißt du das? Ich liebe dich! Bis später. Liebe dich! Ich ruf dich später an!“
Wie erwähnt lebt Corinne in der ständigen Angst, dass ihr zumindest äußerlich gesunder Mann am Rande des Todes stehen könnte. Früher haben Corinne und ich dem Familienfluch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sicher, Mom und die Tanten waren Witwen - sehr traurig, natürlich, aber das hatte doch nichts mit uns zu tun. Und doch, als ich Jimmy traf, dachte ich einen Augenblick lang, wie klug es wäre, sich in einen starken einen Meter fünfundachtzig großen Mann mit vielen Muskeln und wenig Cholesterin zu verlieben (ja, ich habe auf einer ärztlichen Untersuchung bestanden, als wir unsere Bluttests machten). Und möglicherweise schließen die meisten jungen Bräute auch nicht gerade eine saftige Lebensversicherung auf ihren Verlobten ab so wie ich.
Jedenfalls, als Jimmy starb, verfestigte sich irgendwie die Idee in Corinnes Kopf, dass auch sie dazu bestimmt war, jung Witwe zu werden. Sie hat Christopher geheiratet, aber erst nach dem siebten Heiratsantrag. Sie kocht für ihn fett- und salzarme Speisen, sitzt jeden Tag mit der Stoppuhr in der Hand neben dem Crosstrainer, damit er sein fünfundvierzigminütiges Cardiotraining absolviert, und steht jedes Mal kurz vor einem Ohnmachtsanfall, wenn er im Restaurant Speck bestellt. Sie ruft ihn ungefähr zehnmal am Tag an, um sich zu vergewissern, dass er noch atmet, und um ihn an ihre unsterbliche Liebe zu erinnern. In jeder anderen Familie hätte man Corinne schon längst freundlich gedrängt, Medikamente zu nehmen oder eine Psychotherapie zu machen. Wir jedoch finden, dass Corinne sich klug verhält.
„Also, was gibt es bei dir Neues, Lucy?“, fragt meine Schwester mit gerunzelter Stirn. Ihr Blick ist auf das Baby gerichtet, ihre Fäuste sind geballt, vermutlich zählt sie im Geiste die Sekunden, bis sie Emma wieder zurückbekommt.
Ich hole tief Luft. Zeit, mit der Sprache rauszurücken. „Ich glaube, ich bin jetzt so weit, wieder einen Mann kennenzulernen“, verkünde ich laut und schlucke dann - da ist wieder dieser Kieselstein in meinem Hals.
Meine vollmundige Erklärung fällt in sich zusammen wie ein zu kurz gebackener Biskuitkuchen. Iris’ und Roses Augen weiten sich vor Schock, ihre Münder klappen auf. Mom wirft mir einen verwirrten Blick zu und sieht dann wieder ihr Enkelkind an.
Aber Corinne klatscht in die Hände. „Oh Lucy! Das ist fantastisch! Das … ist … Oh Süße, ich hoffe, du findest jemanden, der so wunderbar und perfekt ist wie Chris, und ich wünsche dir, dass du genauso glücklich wirst wie ich!“ Dann beginnt sie zu schluchzen und rennt zur Toilette.
„Die Hormone“, murmelt Iris.
„Ich habe nach Stevies Geburt eine Woche lang geheult“, stimmt Rose ihr zu. „Andererseits wog er viereinhalb Kilo, der kleine Teufel. Ich wurde mit mehr Stichen zusammengeflickt als ein Quilt.“
„Ich habe monatelang geblutet. Die Ärzte lügen“, fügt Iris hinzu. „Und meine kebels - hart wie Steine. Ich konnte wochenlang nicht auf dem Bauch schlafen.“ Aus irgendeinem Grund ist es bei uns Tradition, weibliche Geschlechtsteile auf Ungarisch zu benennen.
Doch meine Galgenfrist währt nur kurz. Die schwarzen Witwen drehen sich zu mir um. „Du willst wirklich noch mal heiraten?“, will Iris wissen.
„Ach Lucy, bist du dir sicher?“, fragt Rose mit ihrer Piepsstimme und ringt die Hände.
„Ähm, ich denke schon.“
„Wie schön für dich“, sagt meine Mom mit lebhafter Unaufrichtigkeit.
„Nach dem Tod von meinem Larry wollte ich nie wieder einen anderen Mann“, erklärt Rose.
„Ich auch nicht“, ruft Iris. „Niemand
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