Lucy Sullivan wird heiraten
aufzuräumen und zu putzen. Er hatte Depression diagnostiziert und mir – welch Überraschung! – Antidepressiva verschrieben. Ich weigerte mich, sie zu nehmen.
»Wozu sollen die gut sein?« hatte ich geschluchzt. »Kriegen die Kumpels in den Bergwerken von Yorkshire davon ihre Arbeit wieder? Taucht davon der zweite... der zweite...« (inzwischen redete ich vor lauter Schluchzen schon unzusammenhängend) »der zweite FÄUSTLING wieder auf?«
»Kannst du nicht endlich mal mit diesem dämlichen Handschuh aufhören?« hatte sich meine Mutter eingemischt. »Damit trampelt sie mir schon weiß Gott wie lange auf den Nerven rum. Ja, Herr Doktor, sie möchte gern mit den Tabletten anfangen.«
Wie viele andere Menschen, die man die Schule nicht hatte beenden lassen, vertrat meine Mutter die Ansicht, wer auf die Universität gegangen war, vor allem Ärzte, müsse nahezu so unfehlbar sein wie der Papst, und die Einnahme einer verschriebenen Arznei sei eine Art heiliges Mysterium.
(»Ich bin nicht würdig, sie zu empfangen, aber sprich nur ein Wort, und ich werde gesund.«)
Außerdem hatte sie, Irin, die sie war, einen gigantischen Minderwertigkeitskomplex und nahm an, alles, was ein Engländer sagte, müsse stimmen. (Dr. Thornton war Engländer.)
»Lassen Sie mich nur machen«, versicherte sie ihm resolut, »ich seh schon zu, daß sie das nimmt.« So kam es dann auch.
Nach einer Weile hatte ich mich besser gefühlt, wenn auch nicht glücklich oder was in der Richtung. Zwar kam es mir nach wie vor so vor, als wären wir alle zum Untergang verurteilt und die Zukunft eine ungeheuer graue, düstere Wüste, doch ich fand, es könnte mir nicht schaden, wenn ich für eine halbe Stunde aufstand, um mir im Fernsehen meine Lieblings-Seifenoper anzusehen.
Nach vier Monaten hatte Dr. Thornton gesagt, jetzt müsse ich mit der Einnahme der Antidepressiva aufhören. Wir alle hielten den Atem an, um zu sehen, ob ich aus eigener Kraft fliegen konnte oder im Sturzflug in die salzige Hölle mit dem einzelnen Fäustling zurückkehren würde.
Inzwischen hatte ich eine Sekretärinnen-Ausbildung begonnen und ein gewisses, wenn auch äußerst brüchiges Vertrauen in die Zukunft.
In der Schule für Sekretärinnen öffnete sich mir die Welt. Dort lernte ich viele sonderbare und wundersame Dinge – beispielsweise, daß man jede Woche gute bequeme Pelze kaufen soll, man eine Anrede sogar mitten im Satz groß schreibt und die Welt untergehen würde, wenn ich es mir einfallen ließe, einen Brief anders als mit »Sehr geehrte Damen und Herren« beginnen und »Mit freundlichen Grüßen« enden zu lassen.
Ich lernte die Kunst, wie man mit einem Spiralblock auf den Knien dasitzt und seine Seiten mit Kringeln und Strichen füllt, bemühte mich nach Kräften, eine vollkommene Sekretärin zu werden, und brachte es bald immerhin auf vier Bacardi mit Cola light, wenn ich abends mit den anderen jungen Frauen ausging. Mein Wissen über das Sortiment der Damenabteilungen sämtlicher Kaufhäuser war zu jener Zeit enzyklopädisch.
Nie war es mir in den Sinn gekommen, daß ich mit meinem Leben möglicherweise etwas anderes hätte anfangen können. Lange hatte ich die Gelegenheit, mich als Sekretärin ausbilden zu lassen, sogar für eine große Ehre gehalten, und so merkte ich anfangs gar nicht, wie entsetzlich mich das Ganze langweilte. Selbst falls ich es gemerkt hätte, wäre ich nicht imstande gewesen, mich aus der Sache herauszuwinden, denn meine Mutter – eine äußerst tatkräftige Frau – war nicht davon abzubringen, daß ich genau diesen Beruf ergreifen sollte. An dem Tag, an dem ich mein Abschlußzeugnis bekommen hatte, in dem es hieß, daß ich meine Finger flink genug bewegen konnte, um zweihundertfünfzig Anschläge in der Minute zu schreiben, hatte sie doch tatsächlich vor Freude geweint.
Ginge es auf der Welt gerechter zu, hätte sie sich statt meiner zum Steno- und Maschinenschreibkurs angemeldet.
In die Sekretärinnen-Schule war ich als einzige aus meiner Klasse gegangen. Abgesehen von Gita Pradesh, die Sportlehrerin wurde, hatten die anderen alle Kinder gekriegt, geheiratet, als Aushilfen im Supermarkt gearbeitet oder all das zusammen.
Ich lernte ziemlich gut – oder hatte jedenfalls zuviel Angst vor den Nonnen und meiner Mutter, als daß ich in der Schule ganz und gar versagt hätte.
Auf der anderen Seite hatte ich vor einigen der anderen Mädchen in meiner Klasse so viel Angst, daß ich mir Mühe gab, auf keinen Fall zu gute
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