Lucy Sullivan wird heiraten
sich Karen fühlt, wenn sie dein Auto vor unserem Haus sieht?«
»Ach so, natürlich«, murmelte er. Es klang beschämt. »Wie konnte ich nur so taktlos sein?«
»Sei kein Trottel«, spottete ich. »Daß du taktlos bist, weiß jeder – schließlich bist du ein Mann. Ich meine was ganz anderes. Wenn sie merkt, daß du hier warst, um dich mit mir und nicht mit ihr zu treffen, bringt sie dich um – und mich gleich mit«, fügte ich hinzu, plötzlich von der kalten Hand der Angst berührt.
»Tja, dann müssen wir uns was anderes ausdenken«, sagte Daniel. Ich erwartete, daß er erklärte, unter diesen Umständen könnten wir uns nicht treffen.
»Ich weiß«, sagte er eifrig. »Ich hol dich unten an der Ampel ab. Da sieht sie mich nie.«
»Daniel!« rief ich empört aus. »Wie kannst du... Na, von mir aus.«
Während ich mich fertigmachte, empfand ich ein Gefühl der Heimlichtuerei, das mich zugleich ängstigte und erregte.
Karen hatte mir nicht verboten, Daniel zu treffen. Jedenfalls nicht ausdrücklich. Doch natürlich erwartete sie von mir, daß ich ihn haßte, weil er sie so abscheulich behandelt hatte. Unsere Solidarität verlangte, daß eine für alle und alle für eine eintraten, wenn einer unserer Kerle eine von uns fallenließ. Wer es sich mit einer verdarb, mußte sich darüber klar sein, daß er es sich zugleich mit ihren Mitbewohnerinnen verdorben hatte.
Aber nach meinem Gespräch mit Daniel merkte ich, wie sehr er mir gefehlt hatte. Jetzt, da wir unsere Freundschaft erneuert zu haben schienen, durfte ich mir das eingestehen. Ich hatte das bittersüße Gefühl, das man empfindet, wenn man sich mit einem Menschen wieder verträgt.
Mit Daniel zusammensein bedeutete Lebensfreude, und die war zu jener Zeit bei uns ausgesprochen rar.
Ich hatte genug davon, daß Karen, Charlotte und ich ständig mit verkniffenem Gesicht herumzogen und kaum je etwas aßen – wir nahmen höchstens einmal einen Keks in die Hand, knabberten eine winzige Ecke davon herunter, legten ihn angewidert hin und vergaßen ihn vollständig.
Überdies setzten mir die gewalttätigen Filme zu, die sich Karen immer holte, Titel wie Carrie und Verbotene Wonnen am Wochenende und was ihr sonst über Frauen in die Hände fiel, die sich auf blutige und brutale Weise an Männern rächten.
Außerdem hatte Charlotte einen schlimmen Rückfall erlitten – wir hatten angenommen, nie wieder etwas von Christopher Plummer und seinen Schenkeln sehen oder hören zu müssen. Aber nein, sie hatte sich mit Schwung wieder auf Meine Lieder – meine Träume gestürzt und sah sich den Film immer dann an, wenn Karen den Bildschirm nicht gerade mit Blut- und Folterszenen belegte. Wenn irgend möglich, ging es dabei um Blut und Folter von Männern.
Ich hatte es satt, in einem Trauerhaus zu leben. Ich wollte ein rotes Kleid anziehen und auf Parties gehen.
Aber ich tat meinen Mitbewohnerinnen unrecht. Es war einfach das Glück der Dummen gewesen, daß ich von meinem Freund den Laufpaß eher bekommen hatte als Karen oder Charlotte von dem ihren, so daß ich auf dem Weg der Erholung einige Wochen Vorsprung hatte.
Wie rasch der Mensch doch vergißt! Zehn Tage war es erst her, daß ich heulend auf dem Sofa gesessen, die Fernbedienung in der Hand gehalten und mir die Liebesszene in Terminator angesehen hatte, in der er sagt: »Ich bin für dich durch die Zeit gereist«. Daraufhin hatte ich die Kassette zurückgespult und mir die Szene noch einmal angesehen. Zurückgespult und noch einmal angesehen. Zurückgespult und...
Man bekommt Angst, wenn man sieht, wozu ein Mensch mit gebrochenem Herzen fähig ist. Aber immerhin: Adrians Geschäft blühte.
Daniel sah sich unruhig und nervös um, während er an der Ampel in seinem Auto auf mich wartete.
»Mach dir keine Hoffnung, daß ich mit dir spreche«, sagte ich, als ich einstieg.
Ich mußte zugeben, daß er recht gut aussah, vorausgesetzt, man konnte dieser Art Mann etwas abgewinnen. Ich dankte meinem Schöpfer, daß ich es nicht konnte.
Statt wie sonst einen Anzug fürs Büro trug er ausgewaschene Jeans und einen wirklich schicken grauen Pulli.
Der ist wirklich hübsch, dachte ich, vielleicht kann ich mir den mal ausleihen.
Früher war mir nie aufgefallen, wie lang und dicht seine Wimpern waren – sie hätten, wie der graue Pulli, an mir viel besser ausgesehen.
Ich kam mir ein wenig schüchtern und linkisch vor. Unser letztes Zusammensein unter vier Augen war so lange her, daß ich vergessen hatte, wie
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