Lucy Sullivan wird heiraten
ich mich verhalten mußte.
Nach dem warmen Gefühl der Zuneigung zu urteilen, das ich empfand, war ich wohl ziemlich froh, ihn zu sehen.
»Möchtest du fahren?« fragte er. Das Gefühl der Zuneigung wurde stärker.
»Darf ich?« stieß ich aufgeregt hervor. Ich hatte etwa ein Jahr zuvor den Führerschein gemacht, obwohl ich kein Auto hatte, keins brauchte und mir auch keins leisten konnte.
Ich hatte es getan, weil ich das Gefühl der Macht auskosten wollte – das gehörte auch zu den Versuchen, um mit meinem Leben ins reine zu kommen. Natürlich hatte es nicht geklappt. Aber ganz nebenbei hatte sich gezeigt, daß ich gern Auto fuhr. Und Daniel hatte einen tollen Sportwagen, der geradezu sexuelle Gelüste erweckte. Ich kannte die Marke nicht, denn schließlich bin ich eine Frau. Aber ich wußte, worauf es ankommt: daß er super aussah und irrsinnig schnell war. Frauen fuhren reihenweise darauf ab.
Um Daniel zu ärgern, nannte ich es das »Bumsmobil« oder den »Fickkarren« und sagte ihm, daß Mädchen nur wegen seines tollen fahrbaren Untersatzes mit ihm ausgingen.
Wir stiegen aus, um die Plätze zu tauschen, und er warf mir über das Dach hinweg die Schlüssel zu. Ich fuhr durch den Londoner Verkehr zu seiner Wohnung, und zum ersten Mal seit der letzten Nacht, die ich mit Gus im Bett verbracht hatte, ging es mir wieder gut.
Ganz unbeabsichtigt fuhr ich wie eine Verrückte. Ich hatte lange nicht mehr hinter einem Steuer gesessen. Wahrscheinlich zu lange.
Ich tat all die Dinge, die großartig aussehen, wenn man einen schnellen Wagen fährt. So fuhr ich an Ampeln mit durchdrehenden Rädern an, so daß mir die anderen Fahrer voll Bitterkeit nachstarrten – das nannte man »jemandem den Auspuff zeigen«, wie Daniel sagte. Ich scherte knapp vor anderen Wagen ein – Daniel sagte, man nenne das »Schneiden«, und wenn wir im Stau standen, zwinkerte ich lächelnd gutaussehenden Männern in anderen Autos zu – Daniel sagte, man bezeichne solche Frauen als »schamlose Schlampen«.
Es entsetzte mich ziemlich, als mich Autofahrer beschimpften und wütend zu mir herübergestikulierten, nur weil ich ihnen den Auspuff zeigte und sie schnitt – jedenfalls zu Anfang. Aber schon bald gewöhnte ich mich an den Verhaltenscode auf der Straße. Als mich jemand schnitt, brüllte ich wütend »Wichser!«. Ich wollte das Fenster herunterdrehen, um ihm obszöne Zeichen zu machen, fand aber die Kurbel nicht.
Er fuhr mit ängstlicher Miene davon. Als hätte sich ein Nebel gelichtet, sah ich mich mit einem Mal so, wie ich auf andere wirken mußte – den Wichser nicht ausgenommen. Ich war entsetzt. Ich hatte nicht geahnt, daß ich so aggressiv sein konnte. Schlimmer, ich hatte nicht geahnt, daß mir das so großen Spaß machen würde.
Ich fürchtete, Daniel werde sich über mich ärgern – schließlich hätte der Kerl aussteigen und uns in blinder Wut angreifen können. Diese blinde Wut im Straßenverkehr war so in Mode gekommen, daß Männer fast zu glauben schienen, sie bekämen nicht genug Gegenwert für ihren Führerschein, wenn sie nicht mindestens einmal pro Woche nackt bis zu den Hüften im Stau anderen Verkehrsteilnehmern saftige Prügel anboten.
»Tut mir leid, Daniel«, murmelte ich und sah rasch zu ihm hinüber. Dabei merkte ich, daß er lachte. »Was für ein Gesicht der gemacht hat«, keuchte er. »Er konnte es nicht fassen.«
Er lachte, bis ihm die Tränen kamen und brachte schließlich heraus: »Der Knopf für die elektrischen Fensterheber ist übrigens da vorne.«
Als wir in die Straße einbogen, in der Daniel wohnte, und ich das Auto mehr als einen Meter vom Bordstein entfernt geparkt hatte, sagte ich: »Danke, Daniel. Ich hab seit vielen Wochen keinen so großen Spaß gehabt.« Ich fuhr nicht schlecht, aber parken konnte ich nicht besonders gut.
»Gern geschehen«, sagte er. »Du siehst gut darin aus. Du und der Wagen, ihr paßt zueinander.« Errötend lächelte ich, fühlte mich glücklich und zugleich ein wenig peinlich berührt.
»Aber es hat nicht lange genug gedauert«, klagte ich.
»Wenn du möchtest«, sagte er, »fahr ich am nächsten Wochenende mit dir aufs Land. Dann kannst du auf der Autobahn allen den Auspuff zeigen.«
»Mmm«, sagte ich unverbindlich. Etwas an der Art, wie er gesagt hatte »Ich fahr mit dir«, statt »Können wir fahren«, hatte mir ein eigenartiges Gefühl verursacht. Es war nicht gerade Nervosität... nun, vielleicht nicht nur Nervosität.
Ȁh,
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