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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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daß mich Daniel abgeknutscht hatte. Das Ganze war einfach aberwitzig.
    Ich wußte nicht, warum er so auf mich gewirkt hatte – wahrscheinlich hatte mich der Zerfall unserer Familie verletzlich gemacht.
    Daniels Motive waren ohnehin fragwürdig. Er war ein Mann, ich eine Frau (jedenfalls mehr oder weniger, eigentlich mehr ein junges Mädchen, fand ich). Kurz gesagt, ich war zur Stelle gewesen.
    Alles war auf den Kopf gestellt. Ich hatte für einen Tag genug Unruhe erlebt und wollte, daß sich die Situation zwischen Daniel und mir wieder normalisierte. Am ehesten ließ sich das erreichen, indem man sich normal verhielt. Also kränkte ich ihn.
    »Du hast meine Lage ausgenutzt«, knurrte ich. Vorsichtshalber fügte ich hinzu: »Du blöder Sack.«
    »Findest du?« fragte er überrascht.
    »Ja«, sagte ich. »Du hast gewußt, daß ich wegen meinem armen Dad völlig aus der Fassung bin. Dann gehst du her und beleidigst mich, indem du deine übliche Weiberhelden-Schau abziehst und mit mir knutschst.«
    »Tut mir leid«, sagte er mit einer Stimme, die entsetzt klang. »Das wollte ich nicht...«
    »Laß gut sein«, seufzte ich selbstgerecht. »Wir wollen es einfach vergessen. Aber sieh zu, daß es nicht wieder passiert.«
    Ich weiß, das war gemein von mir. Immerhin gehören zwei dazu usw. usw., aber ich hatte genug um die Ohren, da konnte ich mir nicht auch noch den Kopf darüber zerbrechen, ob ich Daniel mochte oder nicht.
    Ich besitze eine gewisse Begabung, über Dinge, die mir unangenehm sind, nicht weiter nachzudenken. Damals wußte ich noch gar nicht, wie begabt ich auf diesem Gebiet bin.
    Nach etwa zehn Minuten schlich Daniel beschämt davon. Dad stand an der Haustür und vergewisserte sich, daß er wirklich ging. Fast hätte er ihm mit der Faust gedroht. Wir hatten ihm nicht einmal eine Tasse Tee mit auf den Weg gegeben. Meine Mutter würde sich im Grabe herumdrehen. Das hätte ich mir jedenfalls gewünscht.

65
    E inige Abende nach der großen Knutsch-Szene kam Daniel nach Uxbridge, um mich zu besuchen. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder gesehen, so verwirrt und verlegen war ich, aber er hatte nicht lockergelassen.
    Gleich am nächsten Tag hatte er mich im Büro angerufen und zum Mittagessen in ein Restaurant eingeladen. Ich hatte ihm erklärt, daß ich keine Lust hätte.
    »Bitte, Lucy«, hatte er gesagt.
    »Warum?« fragte ich und fügte hinzu: »Bitte nicht.«
    »Bitte nicht was?«
    »Wenn du jetzt sagst, daß wir miteinander reden müssen, bring ich dich um.«
    So interessiert hoben Megan, Meredia und Jed den Kopf, daß sie sich fast einen Halswirbel ausgerenkt hätten.
    »Wir müssen aber wirklich miteinander reden«, sagte Daniel. »Über deine Wohnung.« Über meine Wohnung?
    »Was soll mit der sein?«
    »Ich sag dir das dann schon.« Es ließ sich mit Händen greifen, daß das ein Vorwand war, aber ich beschloß, darauf einzugehen.
    »Dann komm morgen abend zu mir«, gestattete ich ihm schließlich.
    Zu meiner Beunruhigung stellte ich fest, daß mich der Gedanke, ihn zu sehen, erfreute und mit warmen Empfindungen erfüllte. Dem mußte Einhalt geboten werden.
    »Ich hol dich nach der Arbeit ab«, bot er an.
    »O nein!« sagte ich rasch. Unmöglich hätte ich die ganze U-Bahnfahrt mit ihm ertragen. Ich wäre vor unausgesprochener Verlegenheit spontan verbrannt.
    Als ich auflegte, stürzten sich Megan, Meredia und Jed wie die Geier auf mich.
    »War das Gus?«
    »Was ist los?«
    »Seid ihr wieder zusammen?« riefen sie aus.
    Schrecklich nervös wartete ich darauf, daß Daniel auftauchte. In meinem Kopf stritten sich Für und Wider – genauer gesagt Wider und Wider. Mit Daniel zu knutschen war ein schwerer Fehler gewesen. Jede Wiederholung wäre äußerst fahrlässig.
    Schön, ich hatte das Gefühl, auf ihn scharf zu sein, wußte aber, daß das nicht stimmte.
    Der durch den Weggang meiner Mutter ausgelöste Schock hatte meine Gefühle durcheinandergebracht und deswegen glaubte ich, auf Daniel scharf zu sein.
    Daß er mich geküßt hatte, war eine Verkettung unglücklicher Umstände.
    Betrachten wir die Sache doch mal leidenschaftslos, dachte ich, während ich mir mit Nachdruck die Haare bürstete. Dad sah mir wohlwollend zu. Wenn er geahnt hätte, für wen ich mir die Haare bürstete, wäre er weniger wohlwollend gewesen.
    Auf der einen Seite sah ich mich: verwirrt, verletzlich, voll menschlicher Bedürfnisse, eine junge Frau, deren Eltern sich kurz zuvor getrennt hatten, bereit, mich dem ersten Mann in die

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