Lucy Sullivan wird heiraten
Gefühl, mich von ihm zurückziehen zu müssen, überlegte ich, auf der Suche nach einem Grund.
Die Zurschaustellung von Zuneigung machte mich immer verlegen, jedenfalls wenn ich nüchtern war.
Aber Daniel schien nicht zu merken, daß ich unsere Verklammerung auflösen wollte. Erfolglos versuchte ich mich aus seinen Armen zu befreien, und erneut überfiel mich panische Angst.
»Danke«, schniefte ich zu ihm empor und hoffte, daß es normal klänge. Noch einmal unternahm ich einen Anlauf, mich zu befreien. »Tut mir leid.«
Ich muß von ihm loskommen, dachte ich beunruhigt. Ich fühlte mich in seinen Armen befangen und unbehaglich. Aber es war nicht die übliche Art von Unbehagen und Befangenheit. Er machte mich unsicher.
Ich merkte allerlei an ihm, das mir nicht aufgefallen war, als ich alle Hände voll mit Weinen zu tun hatte.
Beispielsweise war er so riesig – ich war an kleine Männer gewöhnt. Es war ein sonderbares Gefühl, von einem Riesen wie Daniel gehalten zu werden. Es machte mir angst.
»Es braucht dir nicht leid zu tun«, sagte er.
Ich wartete auf sein übliches leicht spöttisches Lächeln, aber es kam nicht. Ohne sich zu rühren, sah er mich mit dunklen und ernsten Augen an.
Ich erwiderte seinen Blick. Stille legte sich um uns. Erwartungsvolle Stille. Noch vor wenigen Augenblicken hatte ich mich sicher gefühlt, jetzt fühlte ich mich alles andere als sicher. Ich schien auch nicht richtig atmen zu können. Es kam mir so vor, als käme die Luft nicht ganz unten an.
Daniel machte eine leichte Bewegung, und ich zuckte zusammen. Aber er strich mir nur das Haar aus der Stirn. Als mich seine Hand berührte, durchlief mich ein Schauer.
»Aber natürlich tut es mir leid«, brachte ich nervös heraus. Ich konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen. »Du kennst mich doch – ich fühle mich gern schuldig.«
Er lachte nicht. Ein schlechtes Zeichen. Außerdem ließ er mich nicht los. Ein noch schlechteres Zeichen.
Zu meinem Entsetzen kam bei mir eine so große Begierde nach ihm hoch, daß sie mich fast von seinem Schoß katapultiert hätte. Erneut bemühte ich mich, von seinen Knien herunterzurutschen. Wahrscheinlich fiel der Versuch nicht besonders nachdrücklich aus.
»Ich laß dich nicht los, Lucy«, sagte er, legte mir die Hand unter das Kinn und drehte mein Gesicht sacht zu sich hin. »Du brauchst es also gar nicht erst zu probieren.«
Ach Gott, dachte ich. Jetzt wurde es ernst. Mir gefiel die Art nicht, wie er das gesagt hatte. Eigentlich gefiel sie mir sogar sehr gut. Hätte ich nicht so viel Angst vor dem gehabt, was dahinter stand, ich hätte sie wunderbar gefunden.
Irgend etwas Merkwürdiges ging da vor sich. Wieso meldete sich die Fleischeslust, um zu sehen, ob Daniel und ich bereit waren mitzuspielen? Und warum jetzt?
Ich versuchte Zeit zu gewinnen und stammelte: »Warum willst du mich nicht loslassen?«
Seine Wimpern lenkten mich ein wenig ab – sie waren geradezu unanständig lang und dicht. Und war sein Mund schon immer so verlockend gewesen? Die leichte Bräune seiner Haut kontrastierte in äußerst angenehmer Weise mit dem Weiß seines Hemdes.
»Weil ich dich will«, sagte er.
Da hatten wir es! Mein Inneres zog sich vor Angst zusammen. Wir näherten uns einer Grenze, die in unbekanntes Gelände führte. Wenn ich nur die Spur von Verstand hatte, würde ich mich dem entgegenstemmen.
Aber ich hatte keinen Verstand. Ich konnte mich nicht einmal mir selbst entgegenstemmen. Und selbst wenn ich es gewollt hätte, ihm hätte ich mich bestimmt nicht entgegenstemmen können.
Schon Ewigkeiten, bevor es dazu kam, war mir klar, daß er mich küssen würde. Wir schwebten im freien Raum, unsere Münder, die einander fast berührten, kamen sich mit unendlicher Langsamkeit näher.
Seit Jahren war mir Daniels Gesicht vertraut gewesen, jetzt aber wirkte er auf mich wie ein Fremder, ein außerordentlich gutaussehender Fremder.
Es war entsetzlich, aber auf äußerst angenehme Weise.
Als meine Nerven schließlich bis zum äußersten gespannt waren und ich sicher war, keine weitere Sekunde warten zu können, beugte er sich über mich, legte seine Lippen auf meine und küßte mich. Es durchströmte mich wie perlender Wein. Ich küßte ihn, denn – ich schäme mich, es einzugestehen – ich wollte es. Ich haßte es, weil es großartig war.
Es war der schönste Kuß, den ich in meinem Leben je bekommen hatte, und er war von Daniel. Wie grauenvoll – wenn er es je merkte, würde sich sein
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