Lucy Sullivan wird heiraten
Selbstbewußtsein unerträglich aufblähen. Ich muß dafür sorgen, daß er es nie erfährt, schoß es mir durch den Kopf.
Mir fiel so einiges auf, was mir früher nie aufgefallen war, beispielsweise, wie breit und fest sich sein Rücken anfühlte, als ich mit den Händen über den Stoff seines Anzugs fuhr, der ihn so erwachsen aussehen ließ.
Kein Wunder, daß er so mitreißend küßt, dachte ich und gab mir Mühe, mich gegen ihn zu wappen, er hat ja auch reichlich Übung.
Dann aber küßte er mich noch einmal, und ich dachte wenn schon, denn schon . Schließlich war der Schaden schon angerichtet, da konnte ich mich ruhig noch einmal bedienen.
Er war atemberaubend. Er hatte einen vollkommenen Mund und eine sagenhaft glatte Haut. Er schmeckte nach Moschus und Sinnlichkeit. Er war ein Mann, ein richtiger Mann.
Gott, dachte ich, das werd ich mir nie im Leben verzeihen. Er wird es mich nie vergessen lassen. Welche Schande, nach all den Kränkungen, mit denen ich ihn eingedeckt hab, und nach all seiner Schürzenjägerei.
Wenn ich nicht so auf ihn abgefahren wäre, hätte ich fast über mich lachen können.
Karen bringt mich um, fuhr es mir durch den Kopf. Ich war schon so gut wie tot.
Wie hatte ich das nur tun können. Ich war außer mir. Aber was hätte ich dagegen unternehmen sollen?
All diese Gedanken rasten mir durch den Kopf, während mich die Begierde nach ihm überwältigte. Von Zeit zu Zeit meldete sich eine leise Stimme und fragte: »Ist dir klar, wer das ist? Das ist Daniel, für den Fall, daß du das noch nicht gemerkt haben solltest. Und ist dir aufgefallen, wo du bist? Genau, in der guten Stube deiner Mutter, auf Father Colms Sofa.«
Ich zitterte, weil ich Daniel so begehrte. Am liebsten hätte ich es mit ihm an Ort und Stelle getrieben, auf Father Colms Sofa, mit meinem Vater nebenan. Es war mir gleich.
Aber er küßte mich nur. Küßte und liebkoste mich an völlig keuschen Stellen. Ich wußte nicht, ob ich davon beeindruckt sein oder mich darüber ärgern sollte, daß er nicht zu fummeln versuchte, mich noch nicht auf das Sofa gelegt hatte und mit der Hand unter meinem Rock aufwärts tastete.
Schließlich löste er sich von mir und sagte: »Lucy, du weißt nicht, wie lange ich darauf gewartet habe.«
Man mußte es ihm lassen – er war gut. Was er sagte, klang leidenschaftlich und aufrichtig. Er sah großartig aus. Seine Pupillen waren geweitet. Seine Augen waren fast schwarz, sein Haar völlig wirr und begehrenswert, ganz anders als sein sonstiges gepflegtes Aussehen. Das allerbeste war seine Miene – er sah aus wie ein Verliebter, zumindest aber wie ein Mann, der auf eine Frau scharf ist. Kein Wunder, daß die Frauen ihm reihenweise erlagen.
»Das sagst du bestimmt allen«, gab ich mit zittriger Stimme zurück und versuchte zu lächeln.
»Es ist mein Ernst«, sagte er leise mit aufrichtig klingender Stimme und sah mich richtig feierlich an.
»Meiner auch«, sagte ich geringschätzig.
Was ich an Verstand noch besaß, hatte sich zögernd wieder auf den Weg zurück in meinen verwirrten Kopf gemacht, obwohl mein ganzer Körper noch vor ungestillter Begierde bebte.
Ich sah ihn an, wollte ihm glauben, wußte aber zugleich, daß ich es nicht konnte.
Wir saßen dicht nebeneinander, aber getrennt, beide mit betrübten Gesichtern. Noch immer lag ich in seinen Armen, denn obwohl ich schon zu lange dort geblieben war, zögerte ich die Trennung hinaus.
»Bitte, Lucy«, sagte er, legte mir beide Hände auf das Gesicht und hielt es so vorsichtig und behutsam, als wäre mein Kopf ein bis zum Rand mit Schwefelsäure gefüllter Eimer.
Dann öffnete sich die Tür und Dad schlurfte herein. Obwohl Daniel und ich uns mit der Sprungkraft von Osterlämmern voneinander lösten, merkte er doch, was da vor sich ging, und sah entsetzt und ärgerlich drein.
»Großer Gott«, sagte er mit lauter Stimme. »Hier drin geht es ja zu wie in Sodom und Begorrah.«
64
I m Verlauf der nächsten Tage änderte sich mein Leben mit verblüffender Geschwindigkeit. Mit einem Mal hatte ich ein neues Zuhause. Man konnte es auch ein altes nennen, je nachdem, wie man es betrachtete. Ich konnte meine Wohnung in Ladbroke Grove gar nicht schnell genug kündigen, so erpicht war ich darauf, mein neues Leben in Angriff zu nehmen, so sehr lag mir daran zu zeigen, wie ernst es mir mit meinem Entschluß war.
Jemand mußte zu meinem Vater ziehen, sich um ihn kümmern. Dafür kam in allererster Linie ich in Frage.
Selbst für den
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