Lucy Sullivan wird heiraten
Nacht. Manchmal auch mehrfach.
Wenn er, was ebenfalls vorkam, auch Chris’ Bett in Mitleidenschaft zog, sagte ich ihm, er solle sich in Peters Bett legen. Zum Glück verschonte er das, denn als einzige weitere Schlafmöglichkeit im Hause wäre dann nur noch mein Bett in Frage gekommen.
Jedesmal weckte er mich, um es mir zu sagen, und anfangs stand ich auf, tröstete ihn und half ihm, sein neues Lager aufzusuchen.
Nach den ersten Nächten war ich so gerädert, daß ich beschloß, die fällige Putzerei bis zum nächsten Morgen aufzuschieben. Bis zum Abend konnte ich es allerdings nicht so lassen, und Dad um Mithilfe zu bitten kam überhaupt nicht in Frage.
Also stellte ich meinen Wecker eine halbe Stunde früher als die ohnehin schon entsetzlich frühe Zeit zum Aufstehen, damit ich vor dem Aufbruch zur Arbeit in Ordnung bringen konnte, was allmorgendlich in Ordnung zu bringen war.
Wenn er mich jetzt nachts weckte, um mir zu sagen, daß er ins Bett genäßt hatte, forderte ich ihn einfach auf, sich ein anderes zu suchen und bemühte mich, wieder einzuschlafen.
Das aber war gar nicht einfach, denn er hatte jedes Mal ein wahnsinnig schlechtes Gewissen und wollte darüber reden, wie leid es ihm tue und sich vergewissern, daß ich nicht wütend auf ihn war. Bisweilen brabbelte er stundenlang vor sich hin, und sagte unter Tränen immer wieder, er sei ein Versager und werde sich bemühen, daß es nie wieder vorkomme. Weil ich so entsetzlich müde war, fiel es mir schwer, friedfertig zu bleiben. Wenn mir dann der Geduldsfaden riß, war er ganz niedergeschmettert, was dazu führte, daß ich ein gräßlich schlechtes Gewissen bekam. Also schlief ich noch weniger und war beim nächsten Mal noch aggressiver...
Jedesmal meldete sich in einem verborgenen Winkel meines Gehirns leise der Vorwurf meiner Mutter, er sei Alkoholiker. Ich beobachtete ihn genau, und er schien tatsächlich immens viel zu trinken. Soweit ich das beurteilen konnte, trank er mehr als früher in meiner Jugend. Allerdings wollte ich nicht ausschließen, daß dieser Eindruck Ergebnis einer Überreaktion auf die Worte meiner Mutter war, und so bemühte ich mich, sie zu vergessen.
Schon möglich, daß er viel trank, aber warum sollte er nicht? Seine Frau hatte ihn vor kurzem verlassen – war das etwa kein Grund?
69
S chnell war mein neues Leben zur Routine geworden. Nach Feierabend mußte ich in den Waschsalon gehen, um die Laken zu trocknen, die ich auf dem Weg zur Arbeit vorbeigebracht hatte. Dann machte ich Dads Abendessen, danach waren gewöhnlich die Folgen irgendeines kleinen Unglücks zu beseitigen, weil er immer wieder etwas verbrannte, zerbrach oder verlor.
Ich weiß nicht, wann sich meine Müdigkeit in Ärger verwandelte. Lange hielt ich ihn verborgen, weil ich mich dafür schämte. Aus Schuldgefühl und falschem Stolz gelang es mir sogar, mich eine Zeitlang selbst darüber hinwegzutäuschen.
Mein früheres Leben begann mir zu fehlen. Ich wollte ausgehen, mir einen Rausch antrinken, lange aufbleiben, mit Karen und Charlotte Klamotten tauschen und mit ihnen über Männer und die Größe ihres Pimmels reden.
Ich hatte es satt, ständig aufpassen und ständig für Dad da sein zu müssen.
Zum großen Teil bestand die Schwierigkeit darin, daß ich für meinen Vater alles hatte vollkommen machen wollen. Ich hatte die Frau sein wollen, die sich besser um ihn kümmerte als jede andere.
Das konnte ich aber nicht, und nach einer Weile wollte ich es auch nicht mehr. Ich sah darin keine Aufgabe mehr, sondern eine Last.
Mir wurde bewußt, daß ich jung war und es nicht zu meinen Pflichten gehörte, mich um meinen Vater zu kümmern. Aber ich wäre eher gestorben, als mir das einzugestehen.
Es kam mir weit schwerer vor, mich um uns beide zu kümmern, als um mich allein. Eigentlich war der Aufwand deutlich mehr als doppelt so groß. Übrigens auch deutlich mehr als doppelt so teuer.
Schon bald machte mir die Frage des Geldes ernsthafte Sorgen. Früher hatte ich nur geglaubt, das mache mir Sorgen, denn ich hatte nie das Gefühl, als reiche mein Geld zum Kauf unerläßlicher Dinge wie neuer Schuhe und Kleider. Jetzt aber merkte ich voll Entsetzen, daß ich fürchtete, es sei nicht genug für die wichtigen Dinge wie Lebensmittel für uns beide.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wo das Geld blieb. Zum ersten Mal im Leben hatte ich Angst, meine Arbeit zu verlieren. Ich meine, wirklich Angst.
Alles war anders geworden, seit jemand von mir abhängig war.
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