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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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sie also endlich abgehauen«, lachte er in sich hinein, während ich ihn mit schief gehaltenem Kopf ansah und mich fragte, was ihm fehlen könnte.
    Und was meinte er damit, daß sich Dad unter die Erde soff? Wieso redeten eigentlich, wenn es um meinen Vater ging, alle immer nur vom Trinken?
    Irgendwo in meinem Kopf schob sich etwas langsam an seinen Platz, und ich empfand Angst.
    »Dann haben Sie jetzt wohl die Stelle Ihrer Mutter eingenommen?« fragte Dr. Thornton.
    »Ja, sofern Sie damit meinen, daß ich mich um meinen Vater kümmere«, sagte ich.
    »Gehen Sie nach Hause, Lucy«, sagte er. »Sie können nichts für ihn tun. Wir haben alles probiert. Solange nicht er selbst mit dem Trinken aufhören will, kann niemand was für ihn tun.« Wieder begriff ich ein wenig mehr.
    »Nein, Sie sehen das falsch«, sagte ich und kämpfte gegen diese Erkenntnis an. »Ich bin nicht wegen seines Trinkens hier, sondern weil ihm wirklich was fehlt, und das hat mit dem Trinken nichts zu tun.«
    »Und was wäre das?« fragte er ungeduldig.
    »Er ist Bettnässer.« Er schwieg. Jetzt weiß er nicht mehr, was er sagen soll, dachte ich nervös und hoffte, daß ich recht hatte.
    »Bettnässen ist psychisch bedingt«, fuhr ich hoffnungsvoll fort. »Es hat mit Trinken nichts zu tun.«
    »Lucy«, sagte er finster. »Es hat von vorn bis hinten mit Trinken zu tun.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte ich, krank vor Angst. »Ich weiß nicht, warum Sie ständig von seinem Trinken reden.«
    »Tatsächlich nicht?« sagte er mit gerunzelter Stirn. »Aber Sie müssen es wissen. Natürlich wissen Sie es. Wie können Sie mit ihm leben und es nicht wissen?«
    »Ich lebe nicht mit ihm«, sagte ich. »Jedenfalls habe ich es jahrelang nicht getan. Ich bin gerade erst wieder bei ihm eingezogen.«
    »Aber hat Ihnen Ihre Mutter nicht alles erzählt...?« fragte er und sah mir ins besorgte Gesicht. »Ach nein, ich seh schon.«
    Meine Beine begannen zu zittern; ich ahnte, was er mir sagen würde. Dieser Katastrophe war ich mein Leben lang ausgewichen, und jetzt stand ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Das war der große Knall. Fast empfand ich Erleichterung darüber, daß ich jetzt aufhören konnte, den Dingen aus dem Weg zu gehen.
    »Ihr Vater ist ein chronischer Trinker«, seufzte Dr. Thornton. Mein Magen hob sich. Es war mir klar gewesen, aber auch wieder nicht.
    »Sind Sie sicher?« fragte ich.
    »Sie haben das wirklich nicht gewußt, was?« fragte er, nicht ganz so übellaunig wie vorher.
    »Nein«, sagte ich. »Aber jetzt, wo Sie es mir sagen, ist mir schleierhaft, wieso nicht.«
    »Das kommt oft vor«, sagte er müde. »Ich sehe es immer wieder, wenn in einer Familie etwas ganz und gar aus dem Ruder läuft, und alle so tun, als wäre nichts.«
    »Ach je«, sagte ich.
    »Es ist, als hätten die Leute einen Elefanten im Wohnzimmer und alle gingen auf Zehenspitzen umher und täten so, als sähen sie ihn nicht.«
    »Ach je«, sagte ich wieder, »und was kann ich da tun?«
    »Offen gesagt kenne ich mich auf dem Gebiet nicht besonders gut aus«, sagte er. »Ich bin für körperliche Leiden zuständig. Wenn Ihr Vater einen eingewachsenen Zehennagel oder von mir aus einen Reizmagen hätte, könnte ich diese oder jene Behandlung vorschlagen. Aber von Psychodrama, Familientherapie und Beziehungskisten verstehe ich nichts. Das war nach meiner Zeit.«
    »Ach je.«
    »Und wie fühlen Sie sich gegenwärtig?« fragte er hoffnungsvoll. »War das ein Schock für Sie? Schock kann ich nämlich, das hab ich gelernt.«
    »Es geht schon«, sagte ich und stand auf. Ich konnte gar nicht schnell genug fortkommen. Ich mußte verarbeiten, was er mir gesagt hatte.
    »Warten Sie«, sagte er, »ich kann Ihnen ein Rezept geben.«
    »Wofür?« fragte ich. »Für einen neuen Vater? Einen, der kein Alkoholiker ist?«
    »Lassen Sie das«, sagte er. »Brauchen Sie Schlaftabletten? Beruhigungsmittel? Antidepressiva?«
    »Nein, vielen Dank.«
    »Einen Vorschlag kann ich Ihnen machen. Vielleicht hilft Ihnen das weiter«, sagte er nachdenklich. Hoffnung erfüllte meine Brust.
    »Ja?« fragte ich atemlos.
    »Plastikfolien.«
    »Plastikfolien?« fragte ich matt.
    »Ja, Sie verstehen, als Matratzenschoner...« Ich ging. Jetzt stand ich doch unter Schock. Als ich zu Hause ankam, war Dad in seinem Sessel eingeschlafen, und eine Zigarette hatte ein Loch in die Armlehne gebrannt. Er fuhr hoch, als ich die Tür aufmachte.
    »Willst du mir was zu trinken holen, Lucy?« fragte

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