Lucy
konnte sie nicht an ihren eigenen Kummer denken.
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Eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Afrika lud Harry Jenny zum Abendessen bei dem kleinen Italiener in Rogers Park ein, bei dem sie sich vor über zwei Jahren zum Essen verabredet hatten. Jenny spürte, dass er etwas vorhatte. Während sie auf ihre Karaffe Wein warteten, schob Harry nervös die Streuer für Salz, Pfeffer und Parmesan hin und her.
»Was ist los, Harry? Hast du plötzlich dein Talent für Tischdekoration entdeckt?«
Harry lachte, und der Kellner brachte den Wein. Harry schenkte ein. Dann griff er in eine Tasche seines Jacketts, holte einen grauen Umschlag heraus, der ungefähr die Größe einer Postkarte hatte, und legte ihn auf den Tisch. Er hob sein Glas, um Jenny zuzuprosten, und sagte: »Das habe ich bei mir im Container gefunden und dachte, du hättest es vielleicht gern.«
Jenny lachte. »Was um Himmels willen …?«
»Alla salute!«
Sie stießen an. Als Jenny den Umschlag zur Hand nahm, sah sie, dass er aus festem, mit Isolierband verklebtem Papier bestand. Darin lag ein mit Isolierband eingefasstes Foto von ihnen beiden, das jemand im Tschad gemacht hatte. Sie sahen erschöpft und zerzaust, aber glücklich aus in ihren Krankenhauskitteln. Ein kleiner, fester Klumpen war an die Rückseite der Karte geklebt worden. Jenny fuhr mit dem Daumen darüber.
»Zieh das Isolierband ab«, sagte Harry.
Jenny tat es und hielt einen Diamantring in der Hand.
|420| »Jede Frau sollte Diamanten und Isolierband haben.«
»Harry, du musst dringend unter Aufsicht gestellt werden, weißt du das?«
»Nun, davon mal abgesehen, was sagst du?«
»Du bist so romantisch. Wie könnte ich da widerstehen?«
Keiner von beiden wollte ein rauschendes Hochzeitsfest. Ihre gemeinsamen Erfahrungen, ihre Freundschaft, ihre Liebe brauchten so etwas nicht. Es war einfach nur offensichtlich geworden, dass sie zusammenbleiben würden, also machten sie es amtlich.
Jenny konnte nichts tun, damit die Zeit schneller verging. Niemand würde Amanda zurückbringen. Harry und Jenny mussten ihr Leben leben, so wie auch Ruth und Luke es getan hatten. Und beschäftigt mit Harrys Arbeit im Krankenhaus und Jennys im Mädchenheim, mit den Reisen nach Afrika und dem gemeinsamen Haushalt stellten sie fest, dass sie tatsächlich ein Leben hatten; und sie merkten, dass die Zeit, die ihnen einst für immer stehen geblieben zu sein schien, doch verging.
Schneeberge waren dahingeschmolzen zu schmutzigem Wasser, das gurgelnd in den Gullys verschwand, und die Temperatur stieg bereits wieder über zwanzig Grad. Ein nächtliches Gewitter ließ Blitze aus den dunklen Wolken herabfahren, und Jenny lag wach, musste an die Mädchen denken und hielt sich an Harry fest.
Am nächsten Tag kamen Ruth und Luke zu ihnen zu Besuch. Harry grillte Thunfischsteaks und Gemüse. Sie aßen draußen, und als das Licht schwand, redeten und lachten Harry und Luke noch lange auf dem großen Balkon, der auf den schönen Garten voller Giftpflanzen hinausging.
Ruth und Jenny beluden die Spülmaschine.
»Ich möchte Harry und dir danken«, sagte Ruth.
|421| »Oh, keine Ursache, wirklich. Harry kocht wahnsinnig gern.«
»Das meine ich nicht. Ich meine dafür, dass ihr in unser Leben getreten seid. Für all das Gute, aber auch für all das Schlimme. Ich glaube, diese Erfahrung hat Luke einen solchen Schock versetzt, dass er sein … seine … nun, was auch immer, überwunden hat. Nach …« Hier hielt Ruth einen Moment inne, denn sie wusste, wie empfindlich die Wunde noch war, an die sie rühren würde. »Nach Lucys Verschwinden …« Amanda zu erwähnen hätte zu sehr geschmerzt. »Danach hat Luke begonnen, das Tempo zu drosseln. In den letzten zwei Jahren ist er richtig zu mir zurückgekehrt. Wer hätte gedacht, dass er je so etwas wie das hier tun würde? Dass er einfach zu Freunden fliegt, nur zum Grillen? Noch vor zwei Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Oder dass er mit mir in Costa Rica Urlaub macht, so wie im letzten Jahr. Es war himmlisch.«
Jenny trocknete sich die Hände ab und umarmte Ruth. »Ich freue mich für dich«, sagte sie.
Als Ruth und Luke wieder weg waren, setzte sich Jenny mit Lucys Laptop an den Küchentisch und sah die Anzeigen auf Craigslist durch. Harry las die Zeitung und murmelte vor sich hin, was für ein Wunder Gott doch vollbracht habe, als er so viele Idioten zur gleichen Zeit auf ein und demselben Planeten versammelte.
Die kleine Anzeige war in der
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