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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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die toleranteste Gesellschaft der Welt«, hatte Lula erwidert.
    »Wie schön für die Albaner.« Zeke hatte den Fernseher angemacht, und sie hatten sich gemeinsam angeschaut, wie ein spanisches Mädchen mit harten Gesichtszügen männliche und weibliche Kandidaten abknutschte, um herauszufinden, was ihr besser gefiel. Lula hatte gespürt, dass sie getestet wurde, nicht wegen ihrer Reaktion auf die Show, sondern wegen ihrer Reaktion darauf, dass sich Zeke die Show anschaute. Wie hatte sie reagiert? Gelangweilt bestand den Test.
    Zeke hatte seinen Vater im Flur gehört und den Fernseher ausgeschaltet. »Wie heißt das Restaurant noch mal, in dem du arbeitest?«
    »La Changita«, hatte Lula erwidert. »Der kleine Affe.«
    Zeke hatte gefragt, ob sie Mojitos machen könne.
    »Dazu brauchen wir frische Minze«, hatte Lula geantwortet.
    Mister Stanley war im Türrahmen aufgetaucht. »Wie ich sehe, haben wir viel gefunden, worüber wir reden können.«
    Mister Stanley sagte oft »wir« oder »man«, wenn er »du/ihr« oder »ich« meinte. Manchmal machte Zeke ihn nach, aber nur leise, damit sein Vater so tun konnte, als hörte er Zeke nicht mit Mister Stanleys Stimme sagen: »Man würde, man könnte, man sollte.« Zuerst hatte sich Lula gefragt, ob diese Ausdrucksweise korrekt sei, ob irgendwas mit ihrem Englisch nicht stimmte. Keiner der jüngeren Wall-Street-Typen redete so. Das Geheimnis um Mister Stanleys Beruf wurde gelöst, als Zeke erklärte, sein Vater sei Professor für Wirtschaftswissenschaft gewesen, bis er sich von einer Bank einstellen ließ, was er ernsthaft bedauerte, obwohl es ihm sehr viel mehr Geld einbrachte, als er als Dozent verdient hatte.
    Vielleicht hatte sich sonst niemand um Lulas Job beworben. Vielleicht wollte niemand mit diesen Trauerklößen von Vater und Sohn leben. Vielleicht hielt Mister Stanley Lula für einen Kriegsflüchtling, was genau genommen der Wahrheit entsprach, und dass er damit eine gute Tat vollbrachte, was genau genommen ebenfalls der Wahrheit entsprach. Lula hätte sich selbst nicht eingestellt, um auf ein Kind aufzupassen. Sie hätte mehr Fragen gestellt, obgleich Mister Stanley auch eine ganze Reihe gestellt hatte. Es sah ihm nicht ähnlich, keine notariell bestätigten Empfehlungsschreiben zu verlangen. Aber sie hatte sich als geschickt im Umgang mit Zeke erwiesen, daher hatte Mister Stanley vielleicht mütterliche Gefühle in ihr sprudeln sehen oder die Anständigkeit, auf deren Aufrechterhaltung sich Lula etwas zugute hielt, trotz ihrer vielen Charakterfehler und der Bemühungen der Welt, ihr Herz zu verhärten.
    Lula war sechsundzwanzig. Alt , dachte sie an düsteren Tagen. Erst sechsundzwanzig an strahlenden. Sie hatte Zeit, aber sie würde noch mehr Zeit haben, wenn sie in diesem Land blieb. Sie wollte diesen amerikanischen Trick lernen, bis vierzig jung zu bleiben. Manche amerikanischen Frauen sahen dann sogar noch besser aus. Nicht wie die Osteuropäerinnen, die früh loslegten, aber dann von einer Felswand fielen und als Großmütter wieder hinaufkletterten. Vielleicht ließ der Druck, zu heiraten, sie vor der Zeit altern. Aber Lula stand unter keinem Druck. Falls ihre Vorfahren Enkelkinder wollten, hielten sie sich darüber bedeckt.
    Um alles amtlich zu machen, hatte Mister Stanley sie in seine sogenannte Bibliothek geführt, diesen muffigen, nach Schimmel riechenden, männlichen Rückzugsort, den er nur betrat, um Rechnungen zu bezahlen. Die Regale waren leer, bis auf einige Reihen staubiger Bücher, die Mister Stanley für seine Universitätskurse benutzt haben musste. Er hatte gesagt: »›Komm in meinen Salon‹, sagte die Spinne zu der Fliege. Wir sollten uns wohl über die Konditionen unterhalten.«
    Über Mister Stanleys Schreibtisch hing ein alter gerahmter Druck eines Vulkanausbruchs. Lula hatte die sprühenden Funken betrachtet, während Mister Stanley ihr die Regeln darlegte. Da zu sein, wenn Zeke von der Schule kam. Weder Alkohol noch Zigaretten im Haus. Keine Fahrten bei schlechtem Wetter. Fahrten überhaupt nur bis zum Good Earth Market. Zeke veranlassen, gelegentlich Gemüse zu essen. Keine Übernachtungsgäste, bis auf Verwandte, mit Mister Stanleys Zustimmung. Immer abschließen, wenn sie das Haus verließ. Mister Stanley hatte früher die Dienste einer Alarmanlagenfirma in Anspruch genommen, hatte aber gekündigt, als sich herausstellte, dass die Firma Häuser ausraubte.
    Als sie Mister Stanley gebeten hatte, sie in bar zu bezahlen, beteuerte er,

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