Lügen haben sexy Beine
zweifellos noch sehr lebendig. „Na ja“, erwiderte sie sanft. „Was empfindest du zum Beispiel, wenn es um Weihnachten geht?“
„Ich brauche keine Therapie.“
„Gut. Ich bin auch keine Therapeutin.“
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Dann lass es auch.“
„Warum hasst du Weihnachten so sehr, Tanner?“
Er presste sichtlich die Zähne aufeinander, als würde er versuchen, die Worte zurückzuhalten, die ihm auf der Zunge lagen. Das Licht der kleinen Lampe zauberte einen goldenen Schimmer auf seine Haut. Und obwohl sie nur ihre Hand nach ihm ausstrecken musste, wusste Ivy, dass sie ihn nicht erreichen würde und er weit von ihr entfernt war.
Einen Moment lang schwiegen sie beide. Dann erklärte er schulterzuckend: „Als Kind habe ich nie Weihnachten gefeiert.“ Er richtete sich auf und lehnte sich an das Kopfende des Betts.
„Aber das ist doch nicht der einzige Grund.“
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Wieso interessiert dich das, Ivy?“
„Neugier“, antwortete sie, obwohl es mehr als nur das war. Bedeutend mehr. Sie wollte ihn verstehen. Ihn kennenlernen.
Kopfschüttelnd sagte er: „Okay, ist ja auch egal. Die Weihnachtsferien habe ich meistens in leeren Hotelzimmern verbracht und mich gefragt, wann meine Mom wiederkommt. Normalerweise war sie immer mit ihrem neuen Lover beschäftigt und hatte keine Zeit für Geschenke, einen Baum und den ganzen Kram.“ Teilnahmslos zuckte er die Schultern, so als würde es ihn nicht berühren. Doch Ivy sah, dass es ihn alles andere als kaltließ. „Meine Nanny hat mir immer etwas mitgebracht, wenigstens etwas. Alles, was mein Vater mir geschickt hat, kam erst ein paar Tage nach Weihnachten an, deshalb zählten seine Geschenke für mich nicht wirklich.“
Ivy verspürte tiefes Bedauern. Nicht für den erwachsenen Mann, sondern für den kleinen Jungen, der er einst gewesen war. Den man allein gelassen und der ein einsames Leben geführt hatte. Jetzt, als erwachsener Mann, war Tanner immer noch allein. Wahrscheinlich hatte er sich im Laufe der Zeit eingeredet, dass er es so wollte.
„Ich sehe es dir doch an der Nasenspitze an, dass du meinetwegen ganz wehmütig wirst.“ Er lächelte. „Das musst du nicht. Mir ging es gut. Mir geht’s gut.“
Sie holte tief Luft und atmete langsam aus. „Natürlich geht es dir gut. Aber sei mir nicht böse. Am liebsten würde ich eine Zeitreise machen, um deine Mutter so lange zu schütteln, bis ihr alle Zähne ausgefallen sind.“
Als Tanner jetzt lachte, war sie froh, weil die Anspannung aus seinem Gesicht wich.
„Weißt du“, fuhr sie ruhig fort. „Du musst Weihnachten gar nicht für immer meiden. Bloß weil du als Kind verhunzte Weihnachtsferien hattest, musst du doch keinen Bogen um das Fest machen. Du solltest deine eigenen Entscheidungen treffen, statt alte Wunden einzureißen.“
„Und da ist sie auch schon wieder, die Therapeutin“, murmelte er und sah sie von der Seite an. „Warum glaubst du, dass ich immer noch unter etwas leide, das Jahre zurückliegt? Was macht dich so sicher, dass es mir schlecht geht? Ich tue, was ich tun will und wann ich es will. Es gibt keinen kleinen zornigen Jungen in mir, der darauf wartet, getröstet zu werden. Also verschone mich bitte.“
„Wow.“ Sie setzte sich ebenfalls auf, zog die Decke hoch und drapierte sie um ihre Brust. All ihre warmen, angenehm wirren Gedanken waren plötzlich fort. Okay, gut, sie liebte ihn vielleicht. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich zur Zielscheibe machen musste. „Für einen Kerl, der scheinbar alles hinter sich gelassen hat, klingst du immer noch ziemlich aufgebracht.“
„Warum denn auch nicht? Wer gibt dir eigentlich das Recht, mir Ratschläge zu erteilen? Was weißt du überhaupt von Schmerz, Ivy? Danebenzusitzen und jemandem zu sagen, er soll darüber hinwegkommen, ist einfach. Du hast null Ahnung, wie mein Leben aussieht.“
„Das stimmt.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie begriff nicht genau, wie sie von phänomenalem Sex und dem Kuscheln danach zu diesem Streitgespräch gekommen waren. Aber sie würde nicht zulassen, dass er so mit ihr sprach. „Aber ich weiß, wie es ist, wenn man aufhört, in alten Wunden zu rühren. Und ich weiß, dass es keine Lösung ist, sich in einem großen Haus vor dem Rest der Welt zu verstecken.“
„Ach, tatsächlich?“, antwortete er gespielt erstaunt und riss die dunklen Augen auf. „Und wie kommst du zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen? Indem du
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