Lügenbeichte
Erhat meine Fingerabdrücke nehmen lassen und sie mit denen auf der Figur verglichen. Natürlich sind meine auch darauf. Ich habe sie doch aufgehoben! Aber jetzt glaubt dieser …«
»Herr Werner?«
»… ja, genau der. Der glaubt jetzt, ich hätte was mit dem Verschwinden des Jungen zu tun.« Herr Dittfurth seufzte. »Und mein Alibi ist nicht so einfach nachzuprüfen. Ich mache mir wirklich langsam Sorgen. Ich darf vorläufig die Stadt nicht verlassen, muss immer erreichbar sein … Aber setz dich doch, Liebes, ich will dir auch nichts vorjammern. Mein Leid, verglichen mit euerm Leid, ist ja gering! Wie kann ich nur helfen?«
»Haben Sie denn Samstagnacht etwas bemerkt?« Josi ging zum Fenster. »Ihre Küche geht ja zur Straße raus.«
»Ich war gar nicht da, am Samstagabend.«
»Wann sind Sie denn wiedergekommen?« Josi kam sich schon selbst vor wie eine Kommissarin.
»Gar nicht, Herzchen, gar nicht. Anschließend war ich noch in einer Bar und habe einen alten Freund wiedergetroffen, ja und dann …«
Josi wurde rot. Anscheinend hatten alle Menschen nur Sex im Kopf – und zwar in jedem Alter.
»… habe ich bei ihm übernachtet.«
»Dann haben Sie doch ein Alibi.«
»Leider nicht für die gesamte Tatzeit. Alfred habe ich erst gegen Mitternacht getroffen. Mein Alibi – ein befreundetes Ehepaar, mit dem ich nach Verlassen des Konzerts noch einen Aperol Sprizz getrunken habe, ist leider gerade nicht erreichbar.«
Josi schaute auf Herrn Dittfurths Kappe. »Sie wollten bestimmt gerade los, oder?«
»Ja, ich wollte zu Alfred. Alfred war mal Anwalt. Er wird mir ein paar Tipps geben, wie ich mich verhalten soll. Man darf sich ja nicht alles gefallen lassen!«
Sie gingen zusammen zur Haustür. Herr Dittfurth gab ihr die Hand, hielt ihre Hand fest und schaute ihr in die Augen. »Und bitte, Liebes, sag mir sofort Bescheid, wenn der Kleine wieder auftaucht, ja? Ich kann ja sonst nicht in Ruhe schlafen. Bestimmt ist ihm nichts passiert. Das ist so ein cleveres Bürschchen, ich sage dir, der ist wohlauf.«
Josi schluckte. Sie wusste, dass die Worte gut gemeint waren.
Sie ging die Straße runter, schaute sich noch einmal um und sah, wie Herr Dittfurth mit seinem Oldtimer rückwärts aus der Einfahrt fuhr.
Ich mag keine Pralinen mehr. Geh nicht weg! Bitte, bitte, geh nicht!
13:55
Marina und Thomas stritten so laut, selbst in Josis Zimmer waren sie zu hören. Als wenn die Situation nicht schon unerträglich genug wäre. Marina keifte herum und drohte Thomas an, zu ihren Eltern zu ziehen und sich scheiden zu lassen.
Josi ging in den Garten. Sie legte sich neben der Linde ins Gras. Die Strickleiter zum Baumhaus hing ganz still über ihr. Ein Rotkehlchen hüpfte über einen Zweig und schaute auf Josi hinab. Strahlend blauer Himmel. Wenn sie doch nur fliegen könnte, dann würde sie Lou bestimmt schneller finden als die Polizei.
Josi hatte Herrn Rufus vorhin von Thomas Schreibtisch genommen und ihn in die Jeanstasche gesteckt. Sie nahm ihn heraus und hielt ihn sich vors Gesicht. »Los, du Detektiv, sag doch endlich, wo Lou ist!« Der rote Plastikroboter antwortete nicht, dafür knallte die Terrassentür so laut zu, dass es sich anhörte wie ein Schuss. Josi fuhr auf. Das war sicher nicht vom Luftzug.
Ihr Handy signalisierte, dass sie eine neue SMS bekommen hatte, von Miriam, ihrer Freundin, sie wollte wissen, wie es ihr geht, was los sei, warum sie nicht zur Schule gekommen war. Aber Josi hatte keine Kraft, etwas zu erklären, sie wollte auch nicht, dass Miriamvorbeikam, simste zurück, dass sie bei ihrem Vater sei und ihr später alles erklären würde. – Später – wenn Lou wieder da war.
Sie wollte gerade ins Haus gehen, da stand Max vor der Tür. Ach ja, den hatte sie ja ganz vergessen!
Er lächelte sie zaghaft an, kam ihr entgegen, nahm sie in die Arme, küsste sie, aufs Haar, auf die Schläfe, die Wange hinab zu ihrem Mund. Seine Lippen waren weich und kühl, als hätte er gerade etwas Kaltes gegessen. Sie schloss die Augen und versank einen Augenblick in seinen Armen, in seinen Küssen, ein Augenblick lang war alles fast wieder gut.
»Wie geht es dir?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie zuckte die Schultern. »Ich habe dich so vermisst. Ich will dich doch jetzt nicht allein lassen …«
Sie machte sich aus seiner Umarmung los, trat einen Schritt zurück.
»Was ist mit deinem Fuß? Der ist ja ganz dick.«
»Mich hat eine Biene gestochen.«
»Soll ich dir Eis holen, zum Kühlen?«
»Ich habe schon
Weitere Kostenlose Bücher